Rückblick auf 2024: Wie adelphi globale Umweltlösungen voranbringt
News vom 20. Dez. 2024
Insight von Morton Hemkhaus
019 | Am 18. März 2019 feierte die Welt zum zweiten Mal den Weltrecyclingtag („Global Recycling Day“). Dieser internationale Jahrestag wurde gegründet, um die Bedeutung des Recyclings für den Erhalt der natürlichen Ressourcen und die Sicherung der Zukunft unseres Planeten anzuerkennen.
Am diesjährigen Weltrecyclingtag trat adelphi der StEP-Initiative bei. Die Initiative will weltweite Richtlinien für die Verarbeitung von Elektronikschrott vorantreiben und die Förderung der nachhaltigen Rückgewinnung von Rohstoffen ausbauen. Mitglieder der Initiative sind internationale Organisationen, nationale Regierungsbehörden, Forschungsinstitute und Akteure des Privatsektors.
Morton Hemkhaus erklärt die Bedeutung des Weltrecyclingtags und weshalb die Textilproduktion derzeit eine der größten „Baustellen“ auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft ist.
Weltumwelttag, Welttag der Erde, Aktionstage für Nachhaltigkeit – warum brauchen wir den Weltrecyclingtag?
Morton Hemkhaus: Wir brauchen den Weltrecyclingtag, um Menschen auf die materialintensive Ausrichtung westlicher Lebensstile hinzuweisen und ein Bewusstsein für Alternativen zu schaffen. Der Tag soll ein starkes Zeichen für die Schließung globaler Stoffströme setzen.
Die Transformation unserer Wirtschaft hin zu einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft steckt noch in den Kinderschuhen. Das hat auch der jüngste Circularity Gap Report festgestellt. Nur neun Prozent der globalen Stoffströme verlaufen in Kreisläufen – Tendenz sinkend. Das ist problematisch, da der materielle Fußabdruck der Weltwirtschaft – die Extraktion von Rohstoffen, deren Weiterverarbeitung und die resultierenden Abfallströme – für über 90 Prozent des Artensterbens und Wasserstresses verantwortlich ist. Dieselben Aktivitäten verursachen zudem mehr als die Hälfte der weltweiten Treibhausgasemissionen.
Wie kann eine Kreislaufwirtschaft dem entgegenwirken?
Morton Hemkhaus: Der Begriff Kreislaufwirtschaft wird noch zu oft im Kontext der traditionellen Abfallwirtschaft verstanden. Viele legen dabei den Fokus auf sogenannte „end-of-pipe“-Lösungen, worunter auch Recycling fällt. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft sollten wir aber vielmehr Produkte von Beginn an so gestalten, dass sie langlebig sind, keine toxischen Stoffe enthalten und nach der Nutzungsphase in Kreisläufen weiter verarbeitet werden können. Auch die Förderung entsprechender Nutzungs- und Geschäftsmodelle muss stärker in den Vordergrund rücken, damit sich Unternehmen zunehmend als Versorgungsdienstleister für materielle Güter verstehen.
Nehmen wir ein Beispiel. Woran hakt es in der Neuausrichtung der Textilproduktion als Kreislaufwirtschaft?
Morton Hemkhaus: Aus Sicht der Kreislaufwirtschaft ist die Qualität und stoffliche Zusammensetzung der Textilien von maßgeblicher Bedeutung, um Fasern wirtschaftlich recyceln zu können. Etablierte Recyclingtechnologien setzen meist auf die mechanische Verwertung von Textilfasern, zum Beispiel durch Schreddern. Dies führt zu einer Verkürzung von Textilfasern und wirkt sich negativ auf die Materialqualität aus. Daher müssen beim mechanischen Recycling von Baumwolle etwa 50 Prozent Frischfasern hinzugefügt werden, um ein qualitativ gleichwertiges Material zu erhalten.
Der aktuelle Fast-Fashion-Trend führt aber zu abnehmender Faserqualität, sodass immer mehr Altkleider entweder zu Füllstoffen verarbeitet oder zur Energiegewinnung verbrannt werden. Ein weiteres Problem bilden Mischfasern, die derzeit nur unter großem Aufwand zu recyceln sind.
Hinzu kommen die strukturellen Besonderheiten der Textilindustrie, deren Wertschöpfungsketten global organisiert sind und sich nur schwer durch nationale Gesetzgebungen regulieren lassen. Die Bundesregierung setzt vor allem auf freiwillige Selbstverpflichtungen, zum Beispiel mit dem Bündnis für nachhaltige Textilien. Leider sind die positiven Auswirkungen solcher Selbstverpflichtungen nur begrenzt sichtbar. Das Thema Kreislaufwirtschaft findet im Bündnis aber kaum Beachtung. Die Hintergründe diskutieren wir auch in unserer neuen Studie „Circular Economy in the Textile Sector“.
In welchen Bereichen siehst Du Fortschritte?
Morton Hemkhaus: Auf technologischer Ebene gibt es eine Menge vielversprechende Technologien, die durch chemisches Recycling zur Wiederverwertung von Textilstoffen beitragen können, ohne auf die Beimischung von Frischfasern angewiesen zu sein. Viele dieser Technologien haben bereits einen hohen technologischen Reifegrad erreicht, sind aber aufgrund des Energieverbrauchs nicht wirtschaftlich einsetzbar. Das wird sich ändern, sobald sie einen gewissen Grad der Skalierung erreicht haben. Auch auf unternehmerischer Ebene lässt sich eine Vielzahl innovativer Geschäftsmodelle erkennen: etwa Leasingservices für Jeans oder kostenlose Reparaturdienstleistungen.
Und auf politischer Ebene?
Morton Hemkhaus: Positive Entwicklungen sehen wir vor allem auf europäischer Ebene. Mit der Verabschiedung des Kreislaufwirtschaftspakets schreibt die EU erstmalig die getrennte Sammlung von Textilien bis zum Jahr 2025 vor. Einige Staaten ergreifen bereits heute Maßnahmen zur geordneten Sammlung von Altkleidern. So prüft beispielsweise der nordische Ministerrat die Einführung von Systemen der erweiterten Herstellerverantwortung für Textilproduzenten. Ein solches System besteht in Frankreich bereits seit 2008. Unter der Firmierung EcoTLC wird die Sammlung von Kleidung und Schuhen organisiert, was maßgeblich zur Steigerung der Verwertungsquoten in Frankreich beigetragen hat.
In Deutschland sind wir noch nicht soweit, haben allerdings aufgrund des Engagements karitativer Organisationen ein vergleichsweise gut funktionierendes Erfassungssystem für Altkleider. Im Koalitionsvertrag der derzeitigen Bundesregierung werden sie sogar explizit als wichtiger Abfallstrom benannt. Den politischen Signalen müssen nun Taten folgen, um die Getrenntsammlung und Verwertung weiter auszubauen.
Was sind die wichtigsten Aufgaben für die kommenden Jahre?
Morton Hemkhaus: Beim Thema Kreislaufwirtschaft konzentrieren wir uns aktuell auf die Kunststoff-, Elektronik- und Textilindustrie. adelphi hat sich vor zwei Jahren für ein globales Abkommen gegen Plastikverschmutzung ausgesprochen. Diese Forderung stieß auf breite öffentliche Resonanz und wurde von vielen NGOs aufgegriffen.
Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung und der komplexen Materialzusammensetzung wird die Frage dringender, wie der Elektroschrott am umweltfreundlichsten gesammelt und entsorgt werden kann: Im globalen Süden generiert diese Arbeit viele Jobs und ist damit Lebensgrundlage für Millionen von Menschen, sie wird jedoch meist unter unwürdigen und umweltschädlichen Bedingungen durchgeführt.
Mit welchen Projekten bringt sich adelphi ein?
Morton Hemkhaus: Mittlerweile haben wir eine Vielzahl von Projekten im Bereich Kreislaufwirtschaft umgesetzt. Erst letztes Jahr erarbeiteten wir im Auftrag des Deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine umfassende Studie zu Kreislaufwirtschaft in der Textilindustrie. Unsere Hoffnung ist, dass dieses Thema nun auch im Bündnis für nachhaltige Textilien aufgegriffen wird und das BMZ weitere Maßnahmen zur Förderung kreislauffähiger Textilproduktion in Ländern des globalen Südens ergreift.
Im Bereich der internationalen Umweltdiplomatie wurden wir von der Europäischen Kommission beauftragt, die Position der EU zu Kreislaufwirtschaft und Finanzierungsfragen in den Foren der G7 und G20 zu stärken. Zudem betreuen wir seit fast zwei Jahren die SWITCH Asia SCP Fazilität der Europäischen Union, welche die Umsetzung der Agenda 2030 mit Blick auf nachhaltigen Konsum und Produktion vorantreibt. Dazu zählt auch die Förderung von industrieller Wertschöpfung in geschlossenen Stoffkreisläufen.
Darüber hinaus unterstützen wir im Auftrag der Europäischen Kommission die indische Regierung bei der Formulierung von Strategien zu Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz. Dafür empfingen wir zum Beispiel vor zwei Jahren eine Delegation hochrangiger Entschiedungsträger und waren an der Organisation der Circular Economy Mission im letzten Jahr beteiligt.
Bereits heute zählt Elektroschrott zu dem am schnellsten wachsenden Abfallströmen weltweit. In Indien, Ghana und Georgien sind wir bei Projekten aktiv, welche die Verantwortung der Hersteller von Elektroschrott stärker in den Blick nehmen und die Aufwertung und Einbindung informeller Strukturen in die bestehende Abfallwirtschaft fördern.
Das Interview führte Christopher Stolzenberg (adelphi).