Die Tschadsee-Region erlebt derzeit eine der weltweit größten humanitären Katastrophen. Ende 2017 litten mehr als sieben Millionen Menschen unter einer unzureichenden Versorgung mit Nahrungsmitteln und über zwei Millionen Menschen wurden durch den Konflikt vertrieben.
Der aktuelle Konflikt wurde durch die Gewalt bewaffneter Oppositionsgruppen, wie beispielsweise „Boko Haram“ in Kamerun, Tschad, Niger und Nigeria und dem „Islamischen Staat Westafrika“ ausgelöst. Die Ursachen, die der Unsicherheit in der Region zu Grunde liegen, sind jedoch weitaus komplexer und tief verwurzelt in der Geschichte der Tschadsee-Region. Ungleichheit, über einen langen Zeitraum hin andauernde politische Marginalisierung und der Ausschluss der Bevölkerung am Tschadsee von der übrigen Gesellschaft sind einige der Faktoren, die den Konflikt mitverursacht haben. Zudem verschlimmern die Auswirkungen des Klimawandels und Umweltzerstörung die Lebenssituation der vorwiegend ländlichen Bevölkerung, die mehrheitlich von Landwirtschaft, Fischfang und Viehzucht abhängig ist. Die zunehmenden Klimaveränderungen, insbesondere stärker schwankende Niederschläge, haben dazu geführt, dass der Wasserstand des Tschadsees immer unvorhersehbarer wird. Diese Unbeständigkeit beeinträchtigt ohnehin gefährdete Lebensgrundlagen und den Zugang zu natürlichen Ressourcen, beispielsweise die Verfügbarkeit von Süßwasser, Weideland, Fischbeständen und Pflanzen von denen die Bevölkerung abhängig ist. Da unterschiedliche Gruppen, wie zum Beispiel Hirten und Landwirte, miteinander um diese knappen Ressourcen konkurrieren, eskalieren Spannungen innerhalb der Bevölkerung und das Risiko gewaltsamer Konflikte erhöht sich.
Nationale Regierungen und die internationale Gemeinschaft haben bereits eine Reihe an Projekten zur Verbesserung der humanitären Situation und des Entwicklungspotenzials in der Tschadsee-Region aufgesetzt. Doch existierte bislang noch keine Analyse oder ein Prozess, der ausdrücklich die bedeutenden Auswirkungen des Klimawandels auf die Sicherheitssituation in der Region berücksichtigt. Um diese Wissenslücke zu schließen und konkrete Maßnahmen zu identifizieren, beauftragten die G7-Staaten eine Risikoanalyse für die Tschadsee-Region. Ziel der Analyse war es, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Lebensgrundlage der Bevölkerung am Tschadsee zu identifizieren sowie die daraus resultierenden Sicherheits- und Fragilitätsrisiken für die Region zu ermitteln. Auf dieser Grundlage wurden maßgeschneiderte Briefings und politische Handlungsempfehlungen für Ministerien, Geber- und Umsetzungsorganisationen erarbeitet. Das Projekt zur Risikoanalyse für die Tschadsee-Region wurde infolge des von den G7-Staaten beauftragten Berichts A New Climate for Peace ins Leben gerufen und wendete dessen Empfehlungen auf die Region um den Tschadsee an.
Die Analyse für dieses Projekt basierte auf den Forschungstätigkeiten vor Ort und einem stark partizipativen Ansatz, für dessen Ausgestaltung und Durchführung die lokalen Akteure und Projektpartner maßgeblich verantwortlich waren. Das Assessment wurde von einem Konsortium führender Forschungsinstitute unter Leitung von adelphi durchgeführt. Zu den Partnerinstituten gehörten unter anderem das Centre Européen de Recherche et d’Enseignement des Géosciences de l’Environnement (CEREGE), das klimabezogene Daten am Tschadsee erhebte, sowie die Grassroots Researchers Association (GRA), eine Non-Profit-Organisation aus Maiduguri, die empirische Forschung und Analysen zum Konflikt im Nordosten Nigerias und der Tschadsee-Region durchführte.