Die jüngsten Wahlergebnisse der EU-Wahlen und der Neuwahlen in Frankreich haben zu erheblichen Gewinnen für die populistische Rechte geführt. Das ist besorgniserregend – aber nicht überraschend. Warnsignale gab es genügend, zuletzt waren die Bauernproteste in Ländern wie Deutschland, Frankreich und den Niederlanden Kristallisationskeim des wachsenden Unmuts.
Dieser Unmut spielt Populisten in die Arme: Einerseits nutzen sie ihn, um sich mit den Protestierenden günstig zu stellen und so weitere Wählerstimmen zu bekommen. Andererseits liefert er ihnen Argumente, um ihren Forderungen nach einem Abbau der Umweltgesetzgebung Aufwind zu verleihen. Traurigerweise mit Erfolg: Wenige Wochen nach den Protesten wurde auf EU- Ebene unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus die Rücknahme zentraler Umweltanforderungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) beschlossen. Das Ganze geschah praktisch in Lichtgeschwindigkeit und in einer Art und Weise, die so ganz und gar nicht demokratisch war: ohne Folgenabschätzung, ohne Konsultation, ohne große Diskussion.
Diese Situation ist ein Alarmsignal. Ein dringender Aufruf zu handeln und Lösungen für die Ursachen des wachsenden Unmutes zu finden, der die Wahlberechtigten in Scharen in die Arme des Populismus treibt.
Zitatgeber*in
Sarah Velten
Zitatgeber*in Beschreibung
Manager bei adelphi research gGmbH
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Dies ist allerdings auch nur einer der jüngsten Ausblicke darauf, was stark populistisch geprägte Regierungen für uns bereithalten. Bereits zuvor wurden wesentliche Umweltgesetzesvorhaben des Green Deals durch rechte Opposition verwässert, verzögert, gestoppt. Ein weiteres Erstarken der Populisten würde diese schädliche Entwicklung fortsetzen und die europäische Artenvielfalt, die Umwelt sowie unseren Wohlstand und unser Wohlergehen gefährden. Denn Beweise für einen drohenden ökologischen Kollaps gibt es genug. Ein „Weiter so“ ist also keine Option, denn nur funktionierende und vielfältige Ökosysteme können uns heute und in Zukunft mit ausreichend Lebensmitteln und sauberem Wasser versorgen und uns vor Dürren und Hochwasser schützen.
Diese Situation ist ein Alarmsignal. Ein dringender Aufruf zu handeln und Lösungen für die Ursachen des wachsenden Unmutes zu finden, der die Wahlberechtigten in Scharen in die Arme des Populismus treibt. Doch wo liegen die Ursachen dieses Unmuts? Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung sind zentrale Probleme unerfüllte Wahlversprechen, der übermäßige Einfluss von Lobbys, deren Interessen dem Gemeinwohl entgegenstehen, eine unausgewogene Vertretung im Parlament, und die geringere Wahlbeteiligung ärmerer Bürger.
Eine Mehrheit der Befragten bevorzugte auch eine direkte Demokratie mit Volksentscheiden oder eine Expertokratie, bei welcher neutrale Experten und Verfassungsgerichte Entscheidungen treffen, gegenüber der aktuellen repräsentativen Demokratie. Dies ist ein tiefgreifendes Ergebnis. Es deutet darauf hin, dass viele Menschen grundlegend unzufrieden mit der Fähigkeit der Politik sind, vernünftige Entscheidungen zu treffen und den mehrheitlichen Volkswillen angemessen zu repräsentieren. Insgesamt scheint es, dass unsere Demokratie nicht demokratisch genug ist und dem Ideal der „Herrschaft des Volkes“ nicht ausreichend gerecht wird.
Statt das komplette System umzukrempeln, gibt es bereits vielversprechende Strategien, um die bestehende repräsentative Demokratie zu verbessern. In der Studie der Friedrich-Erbert-Stiftung erhielten der legislative Fußabdruck und Bürger:innenräte die höchste Zustimmung. Der legislative Fußabdruck ist eine Dokumentation der Lobby-Beteiligung an Gesetzesentwürfen und kann die Transparenz von Entscheidungsverfahren erhöhen. Bürger:innenräte bestehen aus einer zufällig ausgewählten Gruppe von Bürger:innen, die politische Empfehlungen zu einem bestimmten Thema erarbeiten. Diese Empfehlungen sind zwar nicht rechtsverbindlich, jedoch haben sich gerade in der Umweltpolitik Empfehlungen von Bürger:innenräten und ähnlichen partizipativen Prozessen als äußerst effektiv bei der Erarbeitung inhaltlich sinnvoller und gesellschaftlich tragfähiger Lösungen erwiesen. Warum? Weil sie als Instrument der deliberativen Demokratie darauf abzielen, durch den Austausch von Argumenten in einem möglichst machtfreien Diskurs gegenseitiges Verständnis zu schaffen und so zu sachlich und moralisch tragfähigen Lösungen zu gelangen. Dies zeigen auch aktuelle Fallstudien auf nationaler und europäischer Ebene sowie hunderte frühere Beispiele partizipativer Prozesse.
Angesichts des Ausmaßes des aktuellen Vertrauensverlusts sollte der Weg zu einer demokratischeren Demokratie aber noch weitergehen. In einer wirklich demokratischeren Demokratie könnten Bürger:innen nicht nur ihre Vertretenden wählen und unverbindliche Empfehlungen abgeben, sondern regelmäßig und garantierten Einfluss auf Entscheidungen haben – im Sinne deliberativer Demokratie. Außerdem hätten alle zu jeder Zeit die Möglichkeit nachzuvollziehen, wie Entscheidungen zustande gekommen sind. Es ist höchste Zeit, unsere demokratischen Strukturen zu stärken und weiterzuentwickeln, um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen und Populisten keinen Raum zur Ausnutzung von Unzufriedenheit und Misstrauen zu geben. Nur durch eine gerechte, transparente und partizipative Demokratie können wir den Erhalt unserer Umwelt, unsere gesellschaftliche Freiheit und Teilhabe und letztlich unsere Lebensqualität sichern.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Euractiv.de am 8. August 2024