
Ohne Klimaanpassung keine Sicherheit und kein Wohlstand
Kommentar von Dr. Beatrice John, Vivianne Rau
Kommentar von Dr. Beatrice John, Vivianne Rau
Berlin – Die neue Bundesregierung hat ihren Koalitionsvertrag mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ vorgelegt – in einer Zeit, die von den Folgen des Klimawandels geprägt ist. Doch während Sicherheit eines ihrer zentralen Ziele ist, ist es die allgegenwärtige Unsicherheit, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Extreme Trockenheit und ein weiteres Jahr voller Hitzerekorde mahnen eindringlich, dass die Klimakrise längst Realität ist.
Die kommende Legislaturperiode wird die heißeste sein, die jemals gemessen wurde. Der Koalitionsvertrag definiert die politischen Prioritäten der nächsten Jahre und könnte – oder sollte – sich konsequent auf Klimaanpassung ausrichten. Was also steckt im Koalitionsvertrag für Gesundheit, Wirtschaft, Natur und Sicherheit unter klimatischen Bedingungen?
Positiv hervorzuheben ist, dass der Vertrag explizit die Bedeutung der Klimaanpassung betont und die Fortführung bestehender Strategien wie der Deutschen Klimaanpassungsstrategie ankündigt. Im Rahmen der strategischen Forschungsförderung sollen weiter in Richtung Klimaanpassung gearbeitet werden. Ein Sonderrahmenplan für Naturschutz und Klimaanpassung lässt zudem auf systematische Vorsorge gemeinsam mit den Ländern hoffen. Diese wichtigen Ansätze sind allenfalls ein Seitwärtsschritt, für den Schritt nach vorne bräuchte es mehr Ambition.
Es fehlt ein klarer Umsetzungsplan für die über 180 Maßnahmen der Deutschen Klimaanpassungsstrategie. Auch die Finanzierung von Klimaanpassung über eine Gemeinschaftsaufgabe bleibt weiterhin in der Schwebe und steht erneut zur „Prüfung“, obwohl diese bereits mit einem Rechtsgutachten Ende 2024 abgeschlossen wurde.
In der Wasserstrategie werden blau-grüne Infrastrukturen betont. Allerdings windet man sich hier, wie an vielen Stellen, sprachlich darum, präzise oder verbindlich zu werden. So sollen nur „priorisierte“ Maßnahmen umgesetzt, und die Finanzierung entsprechender Investitionen „geprüft“ werden. Angesichts eines Dürremonitors, der dieser Tage in tiefen Rottönen leuchtet, drängen sich Fragen auf: Nach welchen Kriterien wird priorisiert? Wer wird zuerst geschützt und wer trägt die Lasten? Wie werden Interessenkonflikte – etwa zwischen Wasserversorgung, Infrastruktur und Einzelnen – gelöst?
Interessens- und Zielkonflikte werden mit Voranschreiten des Klimawandels zwangsläufig zunehmen. Der Koalitionsvertrag schafft Widersprüche, die diese Konflikte langfristig verstärken und einen transparenten Umgang damit erschweren. Besonders frappierend: Rückschritte auf Kosten effektiver Anpassung. Einerseits bekennt sich Schwarz-Rot zu Klimaneutralität und -anpassung, andererseits hält man an schädlichen Subventionen fest. Zentrale Gesetze, wie das Bodenschutzgesetz und das Lieferkettengesetz, werden abgelehnt oder abgeschwächt. Besonders kritisch ist der Umgang mit der EU-Wiederherstellungsverordnung, die für Wasser- und Ökosysteme enorme Chancen zur Verbesserung der Lebensqualität bietet. Laut Vertrag soll die Verordnung in der Praxis vereinfacht und überprüft werden.
Zusätzliche Widersprüche ergeben sich aus geplanter Deregulierung. Mit dem Wunsch, per Bürokratieabbau zu beschleunigen, werden strukturelle Nachteile für Zivilgesellschaft und Umwelt in Kauf genommen. Die Abschaffung des Informationsfreiheitsgesetzes konnte noch verhindert werden, die Einschränkung des Verbandsklagerechts dagegen hat es in den Koalitionsvertrag geschafft. Potenziell kann das den Umweltorganisationen erschweren, im Namen der Natur zu klagen. Der Blick nach Frankreich zeigt die hohe Relevanz, die Politik juristisch in die Verantwortung nehmen zu können. Erstmals verklagt dort ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis die Regierung wegen mangelhafter Klimaanpassung.
Während an der Zivilgesellschaft gerüttelt wird, wächst der Einfluss von Lobbyist:innen auf die Politik. Aus dem Kontext gerissene Unterstützungserklärungen für Partikularinteressen im Koalitionsvertrag, wie etwa für die Alm- und Alpwirtschaft, liefern Grund zur Sorge vor Prioritätensetzungen der Regierung. Statt der Zivilgesellschaft rechtliche Schritte zu erschweren, müsste die Anwendung von transparenten Anpassungskriterien und -indikatoren sowie die demokratische Mitbestimmung gefördert werden.
In der Klimaanpassungspraxis gibt es bewährte Instrumente, wie Betroffenheitsanalysen und Klimarisikodaten, die die Qualität der Anpassung wissenschaftlich sichern – und nicht auf rein ökonomischen oder Klientelinteressen basieren. Bewusst eingesetzt, werden sie richtungsweisend: Wo werden Quartiere klimagerecht umgebaut? Wo fließen Investitionen hin, damit lokale Klimaanpassungswirtschaften entstehen? Und wie können besonders gefährdete Menschen geschützt werden, die sich Klimaanpassungsmaßnahmen aus eigenen Mitteln nicht leisten können?
Funktionierende öffentliche Daseinsvorsorge ist das Fundament für Sicherheit in Deutschland. Ihr Fortbestand ist auch erklärtes Ziel der neuen Regierung, mit nicht minderen Investitionen in verschiedenste Infrastrukturen. Der Klimawandel stellt zentrale Säulen der Daseinsvorsorge – wie die mit Wasser – und die Stabilität von Gesundheitseinrichtungen, vor enorme Herausforderungen. Kommunale Verwaltungen und Unternehmen sowie ihre Mitarbeitenden stehen tagtäglich vor der Aufgabe, diese Leistungen unter erschwerten klimatischen Bedingungen zu gewährleisten, um die innere und menschliche Sicherheit zu bewahren. Gerade deshalb fehlt dem „Pakt für Bevölkerungsschutz“ eine offensichtliche Verknüpfung zu den gestiegenen materiellen und organisatorischen Anforderungen durch Klimagefahren und ein erhöhtes Bewusstsein für die Ausweitung vulnerabler Gruppen in unserer Gesellschaft.
Die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Mittel müssen gezielt in klimafeste Infrastruktur, naturbasierte Lösungen und Hilfe für Kommunen investiert werden. Nur so kann die Daseinsvorsorge ihre tragende Rolle im Klimawandel erfüllen. Die Umweltministerkonferenz bezifferte bereits 2022 immense Finanzierungs- und Stellenbedarfe bis 2030 für Klima und Naturschutz. Allein für Klimaanpassung lagen zu diesem Zeitpunkt die Schätzungen bei 38 Milliarden Euro. Jedoch steht der ganze Koalitionsvertrag unter einem Finanzierungsvorbehalt. Um die Klimaanpassung umzusetzen, wird womöglich noch weit mehr Geld für Länder und Kommunen gebraucht werden.
Jährlich sterben in Deutschland Tausende an den Folgen von Extremwetter, wobei Hitze die tödlichste Gefahr darstellt. Klimaanpassung muss hier als Leben rettende Gesundheitsvorsorge verstanden werden. Doch der Koalitionsvertrag versäumt es, das klar herauszustellen. Das Potenzial effektiver Klimaanpassung bietet zudem zahlreiche positive Wechselwirkungen mit den Regierungszielen von Sicherheit und Wohlstand. So können rund um Klimaanpassung regionale Wirtschaftssektoren entstehen, die sozial-ökologische Innovation in einer post-fossilen Gesellschaft fördern. Ein Beispiel dafür ist die Metropolregion Ruhr, wo durch gut gesteuerten Strukturwandel eine „Klimaanpassungswirtschaft“ mit bereits 44 000 Erwerbstätigen wächst.
Auch in der Außen- und Entwicklungspolitik, beim Arbeitsschutz und sozialer Gerechtigkeit bleibt der Klimawandel als Gefahr und die Klimaanpassung als Chance unerwähnt - und damit unsichtbar – und als Potenzial unausgeschöpft.
Es wäre unverantwortlich, es auf den Lackmustest ankommen zu lassen, um die Notwendigkeit von Klimaanpassung zu erkennen. Hier sind fünf konkrete Vorschläge, wie wir unabhängig vom Regierungsprogramm, gesamtgesellschaftlich „Verantwortung für Deutschland“ übernehmen können.
Verbindlichkeit durch politisches Handeln: Ministerien und Behörden können Klimaanpassung eigenständig priorisieren und Prüfaufträge durch konkrete Umsetzungspläne und entschlossenes Handeln ersetzen. Besonders die Ministerien für Umwelt, Verkehr, Gesundheit und Inneres sind gefordert, mit klaren Maßnahmen voranzugehen.
Blinde Flecken erkennen: Inhaltliche Lücken müssen über eigenständige Initiativen gefüllt werden, wie etwa der langfristige Hitzeschutzplan durch das Gesundheitsministerium oder die Umsetzung der Ergebnisse der Klimawerkstatt „Klima wandelt Arbeit“ durch das Arbeitsministerium.
Querschnittsansatz auf Verwaltungsebene etablieren: Ministerien und Behörden können Klimaanpassung als Querschnittsaufgabe verankern und mithilfe von interministeriellen Arbeitsgruppen Silo-Denken über Ministerien hinweg auflösen. Gleiches gilt auch für die Länderebene.
Neue Lobby für Klimaanpassung: Höherer Druck und eine stärkere Politisierung erfordern Aktivitäten einer breiten Allianz aus Klimaanpassungsakteuren – als „Klimaanpassungs-Lobby“ aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Medien und Gewerkschaften.
Erfolge sichtbar machen: Gute Beispiele brauchen erhöhte Sichtbarkeit und Präsenz, die die Wirksamkeit und Machbarkeit in den Vordergrund stellen und zum Nachahmen anregen, wie mithilfe der Kampagnen Hitzeaktionstag oder der Woche der Klimaanpassung. Prüfen, aufschieben, abwarten – das wäre ein Sicherheitsrisiko für Deutschland.
Der Koalitionsvertrag ist in seiner Gesamtheit für die Klimaanpassung leider nicht das richtungsweisende Dokument, das er hätte sein können. Es liegt umso mehr an uns allen – Regierung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft –, keine Zeit verstreichen zu lassen und die Weichen für eine widerstandsfähige Zukunft selbst zu stellen.
Dieser Meinungsartikel wurde zuerst bei der Frankfurter Rundschau am 4. Mai 2025 veröffentlicht.