Die fünfte Verhandlungsrunde zum globalen Plastikabkommen: Chancen und Hindernisse
News vom 19. Nov. 2024
Insight von Stephanie La Hoz Theuer
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Ihren CO2-Fußabdruck zu kompensieren? Falls ja, dann sind Ihnen wahrscheinlich „Emissionsminderungsgutschriften“ bekannt. In letzter Zeit hat aber auch eine andere Option Aufmerksamkeit erlangt: nämlich die Nutzung von Berechtigungen aus Emissionshandelssystemen. Eine neue Studie von adelphi und dem Öko-Institut im Auftrag des Umweltbundesamtes vergleicht Gutschriften und Berechtigungen. Das Ergebnis: Beide Zertifikatstypen können je nach Ausgestaltung und Zielsetzung der Kompensierenden eine unterschiedliche Rolle spielen.
Wir alle sind uns immer mehr der Gefahren durch den Klimawandel und der Lücke zwischen den Minderungszielen vieler Regierungen und dem, was nötig wäre, um diesen Gefahren zu begegnen. Deshalb reduzieren immer mehr Einzelpersonen, Unternehmen oder Institutionen ihren CO2 -Fußabdruck. Viele beginnen sogar damit, ihre verbleibenden Treibhausgas-(THG-)Emissionen freiwillig auszugleichen.
Bisher bestand die freiwillige Kompensation fast ausschließlich im Kauf und der anschließenden Löschung von Gutschriften, die aus Klimaschutzprojekten aus Baseline-and-Credit-Programmen stammen. Die bekanntesten Programme sind der „Gold Standard“, der „Verified Carbon Standard“ und der „Clean Development Mechanism“. Die Ausgabe von Gutschriften aus diesen oder ähnlichen Programmen ist in den letzten zehn Jahren deutlich gewachsen.
Eine weniger bekannte Alternative ist der Kauf und die Löschung von Berechtigungen aus Emissionshandelssystemen (Emissions Trading Systems, ETSs), wie dem Emissionshandelssystem der Europäischen Union EU-ETS oder dem kalifornischen Cap-and-Trade-Programm. Diese Option hat in letzter Zeit ebenfalls Aufmerksamkeit erlangt, weil die Baseline-and Credit-Programme seit dem Inkrafttreten des Übereinkommens von Paris vor neuen Herausforderungen stehen.
Bei der freiwilligen Kompensation werden Kohlenstoffeinheiten gelöscht, um die Treibhausgasemissionen des oder der Kaufenden zu kompensieren. In der Studie „Voluntary offsetting: credits and allowances“ werden zwei Arten von Einheiten (entspricht jeweils einem Zertifikat) verglichen: „Gutschriften“ und „Berechtigungen“.
Eine „Gutschrift“ aus Klimaschutzprojekten entspricht einer Einheit von THG, das heißt einer Tonne CO2-Äquivalent (tCO2e). Diese wurde entweder aus der Atmosphäre entfernt oder deren Freisetzung in die Atmosphäre durch eine Aktivität verhindert. Diese Aktivitäten durchlaufen einen Genehmigungsprozess, um sicherzustellen, dass die Minderungsleistung real und umweltinteger ist. Im Klartext heißt das, dass die Emissionsreduktionen (1) zusätzlich zu dem sind, was andernfalls eingetreten wäre, (2) dass sie angemessen quantifiziert werden, (3) dauerhaft sind und (4) korrekt bilanziert werden. Der neue Kontext des Übereinkommens von Paris, in dem alle unterzeichnenden Staaten Minderungsziele haben, bringt zusätzliche Anforderungen für Gutschriftenprogramme mit sich, die neue Ansätze für Zusätzlichkeit, Baselines und Anrechnung benötigen.
Eine „Berechtigung“ ist die Einheit, die in Emissionshandelssystemen gehandelt wird und dem oder der Besitzenden das Recht gibt, 1 tCO2e in die Atmosphäre zu emittieren. Da die Regierung die Gesamtzahl der Zertifikate begrenzt, gibt es eine Obergrenze für das Gesamtvolumen der Emissionen pro ETS. Im Prinzip senkt die Löschung einer Berechtigung die Obergrenze – und veranlasst so die Anlagen im Emissionshandelssystem, ihre Emissionen um 1 tCO2e weiter zu reduzieren.
Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass die ETS-Obergrenze „Knappheit“ erzeugt. Das bedeutet: Das Angebot an Berechtigungen sollte geringer sein als die Nachfrage nach ihnen ohne Emissionshandelssystem. Die Knappheit hängt von mehreren Bedingungen ab: von der Strenge der Obergrenze im Laufe der Zeit und davon, wie die Knappheit von Marktstabilitätsinstrumenten (MSI) und der Verknüpfung mit anderen ETSs oder Baseline-and-Credit-Programmen beeinflusst wird.
Selbst wenn die für die freiwillige Kompensation verwendeten Berechtigungen aus einem Emissionshandelssystem mit signifikanter Knappheit stammen, kann das Marktstabilitätsinstrument des Systems die Umweltauswirkungen der freiwilligen Kompensation vermindern. Marktstabilitätsinstrumente sind politische Instrumente, die darauf abzielen, übermäßige Marktschwankungen aufgrund von unerwarteten Ereignissen wie wirtschaftlichen Abschwüngen oder technologischen Durchbrüchen zu reduzieren. Die meisten bestehenden ETSs haben irgendeine Form von Marktstabilitätsinstrumenten.
Von besonderer Bedeutung für die Umweltauswirkungen der freiwilligen Kompensation mit Berechtigungen ist, ob das Marktstabilitätsinstrument die Gesamtmenge der im Emissionshandelssystem erlaubten Emissionen verändert. Dies ist beispielsweise bei der Marktstabilitätsreserve (MSR) des EU-ETS der Fall. Diese enthält eine Regelung zur automatischen Löschung von Berechtigungen unter bestimmten Bedingungen. In einer solchen Situation würde die Löschung eines EU-ETS-Zertifikats zum Zwecke der freiwilligen Kompensation heute zu weniger als einer tCO2e an Reduktionen im Rahmen des EU-ETS führen. Denn die Marktstabilitätsreserve hätte das Zertifikat ohnehin (teilweise) für ungültig erklärt.
Für die freiwillige Kompensation mit Berechtigungen kann es daher erforderlich sein, die komplexe Situation zu überblicken, die sich aufgrund von Marktstabilitätsinstrumenten ergeben. Im Kontext des EU-ETS kommt die vorliegende Studie zu folgender Lösung: Käuferinnen und Käufer, die Berechtigungen erwerben wollen, könnten einen „Buy-and-Hold“-Ansatz verfolgen. Dabei würde die Käuferin oder der Käufer (oder die vertretende Dienstleisterin oder Dienstleister), Berechtigungen für freiwillige Kompensationszwecke heute kaufen. Aber statt die Berechtigungen heute zu löschen, behält sie oder er die Berechtigungen so lange, bis die Marktstabilitätsreserve keine automatischen Löschungen mehr bewirkt. Dadurch würde die volle gewünschte Umweltwirkung der Löschung erzielt. Es könnten jedoch vertragliche Maßnahmen erforderlich sein, um sicherzustellen, dass die zur freiwilligen Löschung erworbenen Berechtigungen nicht zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf den Markt gebracht werden.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie ist, dass bei der internationalen THG-Bilanzierung sogenannte „entsprechende Anpassungen“ (Corresponding Adjustments) durchgeführt werden müssen, um Doppelzählungen bei der Nutzung von Emissionsminderungen für die freiwillige Kompensation auszuschließen. Dies ist wichtig für die ökologische Integrität freiwilliger Kompensationen.
Käuferinnen und Käufer mit einem starken Fokus auf internationale Kooperationen und Stärkung nachhaltiger Entwicklungen in den Ländern des Globalen Südens können Gutschriften attraktiver finden. Denn diese generieren neben Emissionsminderungen auch Zusatznutzen in Entwicklungsländern. Gutschriften haben bisher den Vorteil, günstiger zu sein. Allerdings muss bei ihnen die Einhaltung von Umweltkriterien wie insbesondere die Zusätzlichkeit und Beachtung von Anrechnungsregeln sichergestellt sein, um Integritäts- und Reputationsschäden zu verhindern.
Akteure und Akteurinnen auf dem freiwilligen Markt, die Wert auf die größere Sicherheit der direkten Emissionsauswirkungen legen, können Berechtigungen aus etablierten Emissionshandelssystemen bevorzugen. Auch Käufer und Käuferinnen aus Industrieländern, die Innovationen oder Emissionsreduktionen „im eigenen Land“ fördern wollen, können Berechtigungen vorziehen. Allerdings ergeben sich bei der Verwendung von Berechtigungen für freiwillige Kompensationen Herausforderungen daraus, dass eine anhaltende Knappheit im System nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann und zudem die potenziellen Auswirkungen von Marktstabilitätsinstrumenten angemessen berücksichtigt werden müssen.
Letztendlich bieten die unterschiedlichen Interessen und Prioritäten bei der freiwilligen Kompensation, neben den verschiedenen Vorteilen und Risiken, Raum sowohl für Gutschriften als auch für Berechtigungen.
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