Die Auswirkungen des Klimawandels sind überall auf der Welt zunehmend sichtbar. In den letzten Jahren ist den Menschen bewusst geworden, welche Gefahren dies mit sich bringt. Gleichzeitig ist ihnen jedoch auch klar, dass es eine Kluft gibt zwischen den ehrgeizigen Zielen des Pariser Abkommens und den Zugeständnissen der aktuellen national festgelegten Beiträge. Dieses Bewusstsein hat das freiwillige Engagement erhöht. Der freiwillige Kohlenstoffmarkt ermöglicht es staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren wie etwa privaten Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen sowie Bürgerinnen und Bürgern Kohlenstoffeinheiten zu erwerben und zu löschen, um ihre Emissionen auszugleichen. Bislang wurden Einheiten auf diesen Märkten fast ausschließlich in Form von Gutschriften bereitgestellt, die innerhalb von Projekten im Rahmen von Programmen wie Gold Standard, Verified Carbon Standard oder dem Mechanismus für umweltfreundliche Entwicklung (Clean Development Mechanism – CDM) generiert wurden. Diese Programme und Aktivitäten können dazu beitragen Emissionen zu reduzieren und Anreize zu schaffen, die die nachhaltige Entwicklung im globalen Süden unterstützen. Allerdings wurde die Qualität einiger dieser Programme in Bezug auf ihre Klimaschutzwirkung in Frage gestellt.
Vor Kurzem haben einige Akteure, die ihre Emissionen freiwillig kompensieren wollten, nach einer Möglichkeit gesucht, Zertifikate aus Emissionshandelssystemen (Emissions Trading Systems – ETS) zu erwerben und zu löschen. Wird ein Zertifikat vom Markt entfernt, das ansonsten dazu genutzt werden könnte eine Tonne CO2 auszustoßen, so kann eine solche Löschung die Gesamtmenge an Emissionen, die innerhalb eines ETS erlaubt sind, um die Menge der gelöschten Zertifikate reduzieren. Die Umweltwirksamkeit einer solchen Löschung hängt jedoch vom Aufbau der Marktstabilitätsinstrumente (MSI) ab, die integraler Bestandteil aller bestehenden ETS sind. Bisher wurde dem Zwischenspiel zwischen der freiwilligen Kompensation mithilfe der Löschung von Zertifikaten und MSI nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet.
Im Rahmen dieses vom Umweltbundesamt (UBA) in Auftrag gegebenen Projekts haben sich adelphi und das Öko-Institut zusammengeschlossen, um die Vorteile und Herausforderungen von Gutschriften und Zertifikaten als Einheiten der freiwilligen Kompensation zu erforschen. Das Projektteam hat einen Rahmen geschaffen, um die relevanten Dimensionen zu erläutern, entlang derer Gutschriften und Zertifikate verglichen werden können, wenn es darum geht, ihre Eignung zur freiwilligen Kompensation zu bewerten. Darüber hinaus liefern adelphis Expertinnen und Experten auf Grundlage ihrer umfassenden Erfahrung mit weltweiten Kohlenstoffmärkten sowie ihres tiefen Verständnisses der MSI dieser Systeme entscheidende Erkenntnisse über die komplexen Interaktionen zwischen MSI und freiwilligen Kompensationen. Hierfür haben unsere Expertinnen und Experten eine detaillierte Fallstudie einer Marktstabilitätsreserve des EU-ETS sowie eine Übersicht über die in den weltweiten ETS umgesetzten MSI entwickelt.
Um den Herausforderungen von MSI im spezifischen Kontext des EU-ETS entgegenzuwirken, könnten den Projektergebnissen zufolge Akteure, die freiwillig Zertifikate kaufen, einen "Buy-and-Hold"-Ansatz verfolgen, bei dem ein Dienstleister zum Beispiel ein Zertifikat kauft und es hält, bis das MSI keine Stilllegung des Zertifikats mehr bewirkt.
Letztlich bieten die unterschiedlichen Interessen und Prioritäten der Akteure im freiwilligen Kohlenstoffmarkt Raum sowohl für Emissionsminderungsgutschriften als auch für Zertifikate. Wer einen starken Fokus auf internationale Zusammenarbeit, zusätzlichen Nutzen in Entwicklungsländern, Kommunizierbarkeit der Emissionsminderung und die Förderung bestimmter Technologien setzt, könnte Emissionsminderungsgutschriften attraktiver finden. Diese Gutschriften sind oft mit geringeren Kosten verbunden, können aber erheblichen Risiken bei der Bestimmung der Zusätzlichkeit der Emissionsreduktion und der Referenzemissionen (Crediting Baselines) mit sich bringen, was wiederum zu Reputationsrisiken führt. Andererseits könnten am freiwilligen Markt Teilnehmende, die eine höhere Sicherheit der direkten Emissionsminderung bevorzugen, den Erwerb von Zertifikaten vorziehen. Auch wer Innovationen fördern oder Emissionsminderungen „im eigenen Land“ vorantreiben will, könnte Zertifikate bevorzugen, da die meisten Kaufenden aus Industrieländern stammen. Die größte Herausforderung bei der Nutzung von Zertifikaten zur freiwilligen Löschung besteht darin, dass Emissionsminderungen von der Stringenz der kumulativen ETS-Obergrenze im Zeitverlauf abhängen und MSI angemessen berücksichtigt werden müssen.