Zwischen Rückschritt und Zusammenarbeit: Die zweite Trump-Ära in der Klimapolitik
News vom 06. Nov. 2024
News vom 04. Jul. 2023
Während Artenschützer*innen das Comeback des Wolfs in Europa feiern, machen sich Viehzüchter*innen Sorgen um ihre Tiere. Denn Übergriffe von Wölfen an Nutztiere sind eine reale Bedrohung, insbesondere in Gebieten, in die Wölfe vor Jahren zurückgekehrt sind. Doch wann und wo schlagen die Beutegreifer zu? Eine neue Studie, an der auch adelphi researchs Biodiversitätsexpertin Katrina Marsden mitgewirkt hat, gibt nun Antworten. Eines vorweg: Schutzmaßnahmen scheinen zu wirken!
Gemeinsam mit einem europäischen Forschungsteam unter der Leitung der Universität Freiburg in der Schweiz hat Katrina Marsden, Senior Manager Biodiversity bei adelphi research, an einer Studie mitgearbeitet, die untersucht, wie sich Schäden an Nutztieren durch Wölfe in Europa räumlich verteilen und zeitlich entwickeln. Die Forscher*innen haben aus 21 europäischen Ländern zahlreiche Daten über Nutztierrisse und andere Übergriffe durch Wölfe für die Jahre 2018, 2019 und 2020 gesammelt und wissenschaftlich analysiert. Mit besonders detaillierten Daten aus Deutschland übrigens. Die Studienergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des international renommierten Journals „Biological Conservation“ abgedruckt.
Auf Grundlage dieses ersten europaweiten Datensatzes haben die Wissenschaftler*innen insgesamt 40.000 Fälle für den besagten Zeitraum ausgemacht. Dabei wurden ungefähr 100.000 Tiere getötet, verletzt oder sie waren verschwunden. In der Hälfte aller Fälle handelte es sich dabei um Schafe. Im Südosten Frankreichs, entlang der Küste Kroatiens, im Norden Griechenlands und in der spanischen Region Asturien sind die sogenannten Hotspots. Also viele Vorfälle in leicht zugänglichen Gebieten mit hoher Wolfspopulation, wo es schwieriger ist, das Vieh zu schützen. In der Mehrzahl der 40.000 Fälle war laut Studie wohl immer nur ein Wolf verantwortlich.
Jahrzehntelang, ja sogar jahrhundertelang, waren Wölfe in Westeuropa so gut wie ausgerottet. Die Populationen haben sich aber in den vergangenen Jahrzehnten erholt. In Deutschland zum Beispiel gibt es derzeit 161 Wolfsrudel, 43 Paare ohne Nachwuchs und 21 sesshafte Einzeltiere. Die meisten davon streifen durch die Wälder und das umliegende Land im Norden des Landes. Für Artenschutzfreunde eine erfreuliche Entwicklung, wenn man bedenkt, dass die ersten Wolfswelpen im Jahr 2000 in Freiheit geboren wurden.
Wildtiere wie Rehe, Rothirsche und Wildschweine sind die wichtigste Nahrungsquelle des Wolfs. Doch auch Nutztiere wie Schafe und Ziegen werden gelegentlich als natürliche Beute wahrgenommen. Das führt seit jeher und immer wieder zu Konflikten zwischen Mensch und Raubtier. Um ihre Nutztiere vor den Wolfsangriffen zu schützen, sehen manche Halter*innen nur ein Mittel: den Abschuss. Aber der Wolf steht dank internationaler und nationaler Gesetze (u. a. Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) unter starkem Schutz, und seine Tötung ist hierzulande und in vielen anderen Ländern illegal. In der Praxis wäre es auch ein schwieriges Unterfangen, alle Wölfe aus einem Gebiet auszurotten. Abgesehen davon erfüllen Wölfe als große Beutegreifer eine wichtige Funktion im Ökosystem. Andere effektivere Schutzmaßnahmen müssen also her.
Im August und September zählen die Forscher*innen die meisten Übergriffe durch Wölfe, vermutlich, weil das Vieh dann mehr Zeit im Freien verbringt. Im Norden Europas treten die Vorfälle später im Jahr auf, im Süden früher. Wolfsübergriffe sind auch von klimatischen Faktoren und den örtlichen Landwirtschafts- und Viehzuchtpraktiken abhängig. Für ihr statistisches Analyseverfahren haben die Autor*innen daher verschiedene Faktoren einbezogen, darunter:
Die Forscher*innen lesen aus der Studie folgende Trends ab: Umfassend genutzte Lebensräume, die einen Mix aus offenem Grünland und Laubwäldern bieten, bilden die Hotspots ab. Die Zahl der Vorfälle in Gebieten, die erst kürzlich von Wölfen besiedelt wurden, schnellt anfangs oft in die Höhe. Weil die in der Vergangenheit angewandten Schutzmaßnahmen dort zuvor in Abwesenheit von Großraubtieren aufgegeben wurden, nehmen die Wissenschaftler*innen an. Wahrscheinlich ist auch, dass sich neu angesiedelte Wölfe an die Jagdbedingungen gewöhnen und Nutztiere als leichte Beute ansehen.
Im Großen und Ganzen stieg mit der Ausbreitung der Wölfe auch die Zahl der Übergriffe – keine Überraschung hier. Viel überraschender: Die durch Wölfe verursachen Schäden scheinen in 39 % aller untersuchten Regionen zurückzugehen. Die Autor*innen interpretieren dies wie folgt: Die Wiederkehr der Wölfe könnte dazu führen, dass Nutztierhalter*innen vermehrt Schutzmaßnahmen wie Elektrozäune und Herdenschutzhunde einführen – was dazu führt, dass sich die Schäden, die Wölfe verursachen, im Laufe der Zeit reduzieren. Leider sind die vorliegenden Daten nicht ideal, um diese Annahme zu überprüfen, da die Schutzmaßnahmen nicht auf der Ebene der einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe gemessen werden.
Die Autor*innen empfehlen den zuständigen Behörden deshalb, Informationen über Schäden in geschützten und ungeschützten Beständen sowie über die Wirksamkeit verschiedener Schutzmaßnahmen zu sammeln. Nicht nur die Erkenntnisse aus dieser Studie, auch zahlreiche kleinere Pilotprojekte deuten darauf hin, dass Schutzmaßnahmen funktionieren. Daher wird den Verwaltungsbehörden empfohlen, die Züchter*innen finanziell und technisch zu unterstützen, indem sie ihnen Mittel und Beratung zur Verfügung stellen. Die EU-Förderung im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) kann zur Finanzierung von Schutzmaßnahmen genutzt werden. Aber einige Länder, darunter viele deutsche Bundesländer, machen von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch.
Wir fordern die regionalen und nationalen Behörden auf, ihre Schadensdaten weiterhin in zugängliche Datenbanken zu integrieren. Denn der öffentliche Zugang zu diesen Informationen birgt ein großes Potenzial, um die Konflikte zwischen Wölfen und Nutztieren in ganz Europa zu entschärfen.
- Katrina Marsden, Biodiversitätsexpertin bei adelphi research gGmbH und Co-Authorin
Da Europas Wolfspopulation wächst und sich ausdehnt, ist eine Konfliktminderung zwischen Nutztierhalter*innen und Raubtieren unumgänglich. Dazu ist es auch notwendig, die Trends in einzelnen Regionen über einen längeren Zeitraum zu beobachten und zu analysieren – insbesondere nach der Einführung zusätzlicher, praktikabler Herdenschutzmaßnahmen (Elektronzaun, Herdenschutzhund, Behirtung), nach Änderungen der Halterungspraktiken oder im Einzelfall nach der Erlegung einzelner Problemwölfe. Die Messung eines rückläufigen Trends könnte die ergriffenen Maßnahmen legitimieren und bestätigen, dass sie dazu beitragen, die Konflikte einzudämmen. Umgekehrt deuten nahezu stabile oder sogar steigende Trends in Regionen mit einer hohen Zahl von Vorfällen darauf hin, dass die derzeitigen Maßnahmen unzureichend und/oder unwirksam zu sein scheinen. Hier ist zusätzliche Aufmerksamkeit erforderlich.
Wölfe sind besonders anpassungsfähig. Sie brauchen ein Territorium mit vielen Beutetieren und Rückzugsmöglichkeiten, um ihre Jungen aufzuziehen. Setzen wir dem Wolf wirksame und abweisende Grenzen – nämlich in Form von Viehschutzmaßnahmen, wird er wahrscheinlich lernen, diese besondere Beutequelle zu meiden. Bei der Konfliktminderung gilt es, die Sorgen und Herausforderungen der Nutztierhalter*innen ernst zu nehmen, auch im Interesse einer langfristigen Koexistenz mit dem Wolf.
Eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Interessengruppen, die im Management der Wölfe und anderer Großbeutegreifer involviert sind, ist daher unerlässlich. Dies kann dazu beitragen, Kosten und Nutzen der Rückkehr von Großraubtieren in ein besseres Gleichgewicht zu bringen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sie zu Lasten eines kleinen Teils der ländlichen Gesellschaft gehen. Die vielen Anstrengungen, die Züchter*innen bereits unternommen haben, um ihre Praktiken unter schwierigen Bedingungen anzupassen, sind dankend anzuerkennen.
Kontakt: Katrina Marsden, Senior Manager Biodiversity
adelphi research verfügt über langjährige Erfahrung und Forschungsarbeit zur Koexistenz von Menschen und großen Beutegreifern. Dies spiegelt sich etwa in der Leitung des Sekretariats der EU-Plattform für große Beutegreifer seit ihrer Gründung im Jahr 2014 sowie in weiteren Plattformen auf lokaler Ebene und einer regionalen Plattform in der Dinariden-Balkan-Pindos-Region wider.