Die fünfte Verhandlungsrunde zum globalen Plastikabkommen: Chancen und Hindernisse
News vom 19. Nov. 2024
Kommentar von Dennis Tänzler
Es wird fast zur Regel, dass Europawahlen von bedeutenden Krisen und Umbrüchen begleitet werden. 2009 die Finanz-, danach die Migrations- und zuletzt die Klimakrise. Die anstehenden Wahlen sind stark vom Rechtsruck in vielen EU-Mitgliedstaaten geprägt – eine Demokratiekrise, die immer breitere Ausmaße annimmt. Angesichts der populistischen Ablehnung bis hin zur Leugnung des Klimawandels durch die Rechten steht am 9. Juni auch das Leitmotiv der noch handelnden EU-Kommission – die Umsetzung des Green Deals – auf dem Prüfstand.
Die klimapolitische Bilanz der Kommission ist geprägt von einer Reihe umfassender Änderungen, die auch gegen starke Widerstände eingeleitet wurden: Der Ausbau des Emissionshandels, Maßgaben für Unternehmen zur Vermeidung von Greenwashing, die systematische Integration der Klimapolitik in die Beziehungen mit zentralen Partnerländern. Für viele Klimaschutzbewegte greifen diese Änderungen noch deutlich zu kurz, vielen in der EVP wiederum ist der Green Deal zu ökologisch ausgerichtet.
Das Fatale ist, dass wir hier bestenfalls von einer Halbzeitbilanz des Green Deals sprechen. Zu viele Initiativen stehen noch am Anfang oder harren der Umsetzung. Und durch die Wahlen und die zu erwartenden politischen Verschiebungen nach rechts droht vieles unvollendet zu bleiben.
Wer führt aber die europäische Klimapolitik in eine erfolgreiche zweite Halbzeit – wer ermöglicht ein europäisches Sommermärchen? Naheliegende Anwärterin wäre hier die Bundesregierung. Trotz vielfach blockierter innenpolitischer Diskussionen kann, ja muss sie außenpolitische Führung übernehmen. Dass sie Klimadiplomatie immer noch kann, hat sie mit ihrem wesentlichen Beitrag zur Einigung auf einen Finanzmechanismus für Verluste und Schäden der verwundbarsten Länder im vergangenen Jahr während der COP28 in Dubai gezeigt.
Das entsprechende Repertoire zur Bildung klimapolitischer Allianzen ist noch viel breiter. Team Deutschland könnte hier noch viel stärker zur führenden Kraft werden. Dies verdeutlicht die über Ressortgrenzen hinweg ausgearbeitete Klimaaußenpolitik-Strategie, ebenfalls Ende letzten Jahres am Rande der Klimaverhandlungen vorgelegt. Ein Kernstück dieser Strategie liegt in der Aufgleisung umfassender Partnerschaften mit einzelnen Ländern, um ambitionierte Emissionsminderungen zu realisieren und gleichzeitig einen gerechten Wandel zu ermöglichen. Diese Partnerschaften ergänzen den multilateralen Verhandlungsprozess und sollten im Idealfall die Dekarbonisierung von bedeutenden Emittenten vom Kopf auf die Füße stellen.
Wirklich losgelaufen sind diese Arrangements – mit Südafrika oder Indonesien beispielsweise werden sie auch unter dem Namen JET-P, Just Energy Transition Partnership, geführt – noch nicht. Das Spektrum entsprechender Kooperationsansätze ist auch deutlich breiter, wie das Strategiekonzept der Bundesregierung ausweist. Der Stand einzelner Partnerschaften wird gegenwärtig durch die Bundesregierung ausgewertet. Eine gute Chance, klare Leitlinien zu kommunizieren und diese auch in Brüssel voranzubringen – auch in einer sich absehbar politisch veränderten Arithmetik in Brüssel.
Die Kommissionspräsidentin hat zwar die bilaterale Diplomatie zur Umsetzung von Partnerschaften in Klima- und Energiefragen vorangetrieben, offenkundig braucht es aber eine erweiterte Spielidee, diese konsequent und kohärent auf die Pariser Klimaschutzziele und vor allem den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen auszurichten. Gleichzeitig müssen sich auch neue Arrangements – etwa zum Aufbau und Handel von Wasserstoff – an gerechten und nachhaltigen Kriterien orientieren. Gelingt dies, versprechen sie durch zusätzliche regionale Stabilität eine Friedensdividende auszuschütten.
Schließlich können die Partnerschaften auch dazu beitragen, die notwendige Klimafinanzierung zielgerichtet und transparent bereitzustellen. Wie in Deutschland wird auch der Brüsseler Haushalt in seinen klimapolitischen Ambitionen nach der Wahl durch neue Konstellationen herausgefordert. Die Ausrichtung der bilateralen Zusammenarbeit an nachvollziehbaren klimapolitischen Anforderungen eröffnet starke Argumente – in Brüssel gegen rechte und populistische Kritik, aber auch international: die Diskussionen zu einem neuen Langfristziel in der Klimafinanzierung werden die Klimaverhandlungen in den nächsten Jahren maßgeblich bestimmen.
Angesichts dieses Spielstands wird deutlich: Team Deutschland muss in der EU klare Position beziehen und Team Europa stärken, um die Green Deal Diplomacy auszubauen. Dies erfordert, offensiv die Kohärenz in der Zusammenarbeit mit einzelnen strategischen Partnerländern zu forcieren und den Mehrwert der Investitionen in diese Partnerschaften aktiv in die politische Diskussion einzubringen. Hierfür bedarf es eines langen Atems: die Klimakrise wird kaum in einer 2. Halbzeit zu besiegen sein.
Dieser Meinungsbeitrag erschien zuerst am 06.06.2024 in der Frankfurter Rundschau.