COP29: Klimasicherheit im Dienste des Menschen
toda.org, 19. November 2024 (in Englisch)
Von Janani Vivekananda und Dr. Benjamin Pohl
von Janani Vivekananda und Benjamin Pohl, Head of Programme Climate Diplomacy and Security bei adelphi
Gleich zwei deutsche Ministerinnen – für Außenpolitik und Verteidigung – haben im April die Sahelzone besucht. Angesichts des Krieges in der Ukraine mag dieses Reiseziel auf den ersten Blick überraschen. Es handelt sich aber um eine Region, die für Europa von strategischer Bedeutung und gleichzeitig voller sicherheitspolitischer Herausforderungen ist. Die Klimakrise, deren Bekämpfung die deutsche Regierung zu einem Leitstern auch ihrer Außenpolitik erklärt hat, spielt bei vielen dieser Herausforderungen eine wichtige Rolle. Weil die Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und Instabilität in dieser und vielen weiteren Regionen immer deutlicher werden, sollte die Bundesregierung dieses Thema auch im Rahmen ihrer aktuellen G7-Präsidentschaft voranbringen.
Bewaffnete Konflikte im Zusammenhang mit der Klimakrise erscheinen uns oft als abstrakte Bedrohung, als Stoff für dystopische Science-Fiction. Doch für Youssouf [1], einen jungen Hirten in Zentralmali, sind sie bereits Realität. Er ist mit dem Vieh seiner Familie unterwegs, um Weideland zu finden, und er spürt am eigenen Leib, was wir aus wissenschaftlichen Analysen wissen: In Mali ist es dieser Tage heißer und der Regen weniger vorhersehbar als früher. Auch Bauern haben in Mali Probleme, ihre Familien zu ernähren: Sie betreiben deshalb vermehrt Ackerbau auf dem Land, auf das Youssouf und andere junge Männer seines Stammes ihr Vieh zum Weiden bringen. Dies führt zu Auseinandersetzungen, die oft in Gewalt münden. Verschärft wird die Situation durch bewaffnete Dschihadisten, die in der Region aktiv sind und nicht zuletzt unter marginalisierten Gruppen rekrutieren, zu den insbesondere auch Hirten zählen: Letztere werden daher sowohl vom malischen Militär als auch von Bauern als zumindest potenzielle Dschihadisten behandelt.
Wie unsere in Kürze erscheinende Studie zu den Wechselwirkungen zwischen Klimakrise und Fragilität in Mali zeigt, ist Gewalt zwischen Bauern und Hirten nur einer von vielen Konflikten um natürliche Ressourcen, die in Mali zunehmen. So leiden auch viele Binnenfischer, weil Bauern zunehmend auf Pestizide und Düngemittel zurückgreifen, unter dem Abfluss von Chemikalien. Diese Problematik wiederum wird durch seltenere und heftigere Regenfälle, eine weitere Folge der Klimakrise, verschärft. Und statt zur Lösung dieser Art Konflikte beizutragen, verschärft die Regierung sie oft durch Korruption und eine Politik des „Teile-und-herrsche“.
Solche alltäglichen Konflikte um Lebensgrundlagen prägen viele Regionen unseres sich rasch erwärmenden Planeten. Aber sie erreichen meist noch nicht die Schwelle eines veritablen Krieges und der damit verbundenen globalen Aufmerksamkeit.
Auch in Mali ignoriert die politische Klasse diese Herausforderungen auf Ebene der menschlichen Sicherheit – der grundlegenden Bedingungen, die Menschen brauchen, um in Würde zu leben und ihre Familie zu versorgen – und konzentriert sich auf die eigene Sicherheit. Im Zuge von Protesten der Bevölkerung hat 2020 das Militär (wieder einmal) die Macht im Land übernommen. Wahlen und die Rückkehr zu einer zivilen Regierung sind nicht in Sicht. Hinzu kommt der Kampf gegen bewaffnete Dschihadistengruppen, dessen Verlauf von schweren Menschenrechtsverletzungen begleitet wird: So berichteten zuletzt verschiedene Medien über ein Massaker bei Mouro, bei dem Ende März mehr als 200 Menschen von Regierungssoldaten und Söldnern der russischen Wagner-Truppe getötet worden sollen sein. Dies verkompliziert nicht zuletzt die Frage, ob und ggfs, wie Deutschland weiterhin an den multinationalen Schutz- und Ertüchtigungsmissionen in Mali teilnehmen kann und sollte.
Viele Auslandseinsätze der Bundeswehr in den vergangenen Jahren ordneten sich explizit oder implizit in den globalen „Krieg gegen den Terrorismus“ ein. Das ist jedoch ein denkbar schlechter Ausgangspunkt für Ertüchtigungsmissionen in fragilen Gesellschaften, in denen der Kern der Konflikte letztlich oft Marginalisierung und Entrechtung von Teilen der Gesellschaft sind – was dschihadistische Gruppen gern ausnutzen. Unsere Forschung zeigt auch in anderen Ländern der Sahelzone, dass ausländische Militärinterventionen oft als Ursache und nicht als Lösung für die Rekrutierung bewaffneter Milizen gesehen werden. Der mancherorts überstrapazierte Hinweis, dass es keine militärische, sondern nur eine politische Lösung geben könne: In der Sahelzone ist er überaus angebracht, weil hier das Grundproblem ein Mangel an Vertrauen zwischen politischem Zentrum und Peripherie ist. Staat und Regierung werden an der Peripherie nicht als hilfreiche Dienstleister, sondern ausbeuterische Unterdrücker wahrgenommen – und sind es oft auch.
Das bedeutet für Deutschland und seine europäischen Partner, dass eine weitere Unterstützung malischer Sicherheitskräfte nur in dem Maße sinnvoll ist, wie dadurch konstruktive politische Prozesse unterstützt werden können. In der Sahelzone kann stärkere Resilienz gegen die Klimakrise dabei wichtige Ansatzpunkte liefern. Technische Ansätze wie beispielsweise der Ausbau und die Modernisierung des nationalen Wetterdienstes könnten in Mali einen Beitrag zu größerer Widerstandsfähigkeit gegenüber Klimawandelfolgen leisten. Geberländer wie Deutschland sollten ihre Programme überdies auf die Stärkung der Kapazitäten von Regierung und Zivilgesellschaft ausrichten, marginalisierte Bevölkerungsgruppen bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Das kann helfen, die Beziehungen zwischen konkurrierenden Bevölkerungsgruppen wie auch zwischen Staat und Gesellschaft zu verbessern. Die militärische Bekämpfung von Dschihadisten mag notwendig sein, macht aber nur als Teil einer größeren Strategie Sinn, die allen Gruppen der Gesellschaft mehr Mitsprache und Rechte ermöglicht. Afghanistan hat gezeigt, wie schwer ein solcher Ansatz umsetzbar ist – vor allem aber, wie ein fortgesetztes Primat militärischer Aufstandsbekämpfung ins Leere führt.
Die von der Regierung angekündigte Zeitenwende in der Außenpolitik sollte sich daher nicht in der Aufstockung des Verteidigungsbudgets und einer realistischeren Russlandpolitik erschöpfen, auch wenn beides notwendig ist. In seiner östlichen Nachbarschaft hat Deutschland die Bedeutung militärischer Macht systematisch unterschätzt. Doch eine zweite Lektion der vergangenen Jahrzehnte sollte sein, dass der Westen insgesamt die Wirkung derselben im globalen Süden über- und falsch eingeschätzt hat. Beides muss sich ändern.
[1] Name geändert
Eine gekürzte Version dieses Beitrags erschien am 19. Mai 2022 in der "taz" unter dem Titel "Klima macht Krisen".