
Welttag des Artenschutzes: Finanzierungsansätze für den Erhalt bedrohter Wildtierarten Zentralasiens
Kommentar von Anne Neumann, Christiane Röttger, Dr. Johannes Stahl
Insight von Alexander Carius
Aktuelle Themen wie die Klimaproblemaitk und die Angst vor sozialen Veränderungen prägen spürbar unsere Gesellschaft. Eine zunehmende Stimmung des Misstrauens gegenüber politischen Institutionen lässt sich ebenfalls beobachten. Dazu unterhält sich Alexander Carius, Geschäftsführer der Berliner Denkfabrik adelphi und Mitbegründer der bundesweiten Initiative Offene Gesellschaft e.V. im Interview mit dem polis-Magazin.
Karl Poppers Konzept der offenen Gesellschaft verfolgt das Ziel, die kritischen Fähigkeiten des Menschen freizusetzen. Sie sind Vorstand und Mitbegründer der Initiative Offene Gesellschaft e. V. Warum sind Poppers Gedanken heute noch relevant?
Das Konzept der offenen Gesellschaft ist im Grunde genommen die Basis unserer europäischen Nachkriegsgesellschaft und unseres 70 Jahre alten Grundgesetzes. Historisch gesehen sichert Poppers Konzept den Menschen das höchste Maß an Freiheit, Wohlstand und Sicherheit zu.
In unseren Freiheitsrechten verankert, ermöglicht es jedem Individuum, sich politisch zu äußern und gestaltend an der Gesellschaft mitzuwirken. Das ist ein unglaublich hohes gesellschaftliches Gut und ein zivilisatorischer Standard, den wir in den letzten Jahren offensichtlich verlernt haben zu nutzen. Poppers Idee rührt aus einer historischen Erfahrung: nämlich, dass eine offene Gesellschaft gegenüber ihren Feinden verteidigt werden muss, damit das demokratische System funktioniert und weiter lebt.
Für uns, als Initiative Offene Gesellschaft bedeutet eine offene Gesellschaft alternativlos eine demokratisch verfasste Gesellschaft. In unserer Gesellschaft ist derzeit ein deutlicher Mangel ablesbar, wenn es darum geht, sich für die Werte und den Erhalt einer offenen Gesellschaft zu engagieren. Doch gerade dieses Engagement ist nun einmal gelebte Demokratie.
Demokratie kann nur funktionieren, wenn wir uns mit individuellen Vorstellungen und der Frage, ob diese gesellschaftlich auch tragfähig sind, im Kollektiv auseinandersetzen und diskutieren. Diesen Rahmen gibt uns ja eine offene Gesellschaft: Sehr unterschiedliche Meinungen miteinander zu konfrontieren und Lebens- und Zukunftsentwürfe daraus zu entwickeln, darüber zu streiten, Argumente durchzuhalten und Meinungen anderer Auszuhalten.
Demokratie ist nichts Statisches. Demokratie lebt von permanenter Veränderung. Der Punkt ist doch, dass wir gegenwärtig viel zu wenig für unser demokratisches System einer pluralistischen offenen Gesellschaft tun, weil wir es als gegeben hinnehmen, ohne dafür etwas zu tun und weil wir Angst vor Veränderungen haben.
Woher rührt diese Angst? Ist es unsere Wohlstandsgesellschaft nicht mehr gewohnt, sich auf Neues einzustellen?
Das ist sicherlich auch eine Frage nach dem Urvertrauen in die Funktionsfähigkeit von Staat und Gesellschaft. Angstforscher sprechen auch von einer Urangst, die der Mensch in sich trägt und die häufig vollkommen irrational ist. Wenn wir mit Angst umgehen wollen, müssen wir uns dieser Angst stellen. Den Umgang mit dem Fremden und mit Veränderungen erlernen wir durch Konfrontation.
Interessanterweise haben Forschungen ergeben, dass Angst insbesondere an solchen Orten vorherrscht, an denen die Wahrscheinlichkeit der Gefahr am geringsten ist. Fremdenhass entsteht dort, wo die Menschen überhaupt nicht mit Fremden in Berührung kommen. Eine hingegen unmittelbare Angst spürt derzeit vor allem die junge Generation: Die Angst vor der Klimakrise. In den letzten Jahren haben wir durch Hitzesommer, Starkregenereignisse und Dürre ein Gefühl dafür entwickelt, wie sich unsere Welt verändert und die Klimaforschung zeigt uns, wie sich unser Leben grundlegend verändern muss.
Das, was die Angst – sowohl vor dem Fremden als auch vor der Klimakrise – aber eigentlich hervorruft, ist die Angst davor, seine eigenen Lebensumstände und den (lieb)gewonnenen Wohlstand aufgeben zu müssen. Bei der Angst vor dem Fremden geht es vor allem um das Unbehagen davor, dass das, was uns global zur Verfügung steht, anders verteilt wird und weniger für das Individuum bleibt.
Bei der Angst vor der Klimakrise geht es hingegen um die Angst vor der Dematerialisierung als logische Konsequenz dafür, in einem post-fossilen Zeitalter überleben zu können. Den CO2-Verbrauch pro Kopf von 9,6 Tonnen auf 2 Tonnen zu reduzieren, heißt den Ressourcenverbrauch gänzlich vom Wohlstand zu entkoppeln. Vor diesem radikalen Wandel hat unsere Gesellschaft Angst, da sie sich eine Welt, in der wir unsere Emission auf null gesenkt haben, überhaupt nicht vorstellen kann.
Mit unserer Initiative Offene Gesellschaft möchten wir darauf aufmerksam machen, dass unser demokratisches System uns die Freiheit gibt, eine zukunftsfähige und solidarische Gesellschaft selbst gestalten zu können. Und dass Veränderung nicht die Frage nach Verlust von materiellem Wohlstand, sondern ein Gewinn an Zeit, Lebensqualität und sauberer Luft bedeutet. Diese positiven Bilder zu fördern und zum Mitgestalten anzuregen, ist ein zentrales Anliegen unserer Initiative.
Inwieweit lähmt ein gewisses Maß an Politikverdrossenheit derzeit die erfolgreiche Transformation unserer Gesellschaft?
Ich glaube nicht, dass wir es derzeit mit politischem Desinteresse innerhalb unserer Gesellschaft zu tun haben. Jüngste Ergebnisse der Bertelsmann Stiftung zeigen, dass insbesondere junge Menschen ein hohes Maß an politischer Kenntnis und politischem Engagement aufweisen. Verglichen mit den 80er- oder 90er-Jahren leben wir gerade in einer hochpolitisierten Zeit. Letztlich ist auch die noch so unqualifizierte, und wenig fruchtbare Kommunikation innerhalb der sozialen Medien im besten Fall Ausdruck einer knallhart geführten politischen Auseinandersetzung.
Wir haben es in unserer Gesellschaft nicht mit Politikverdrossenheit, sondern mit einem erheblichen Misstrauen gegenüber politischen Handlungsträgern bzw. einem politischen Parteiensystem zu tun, das klientelistisch und, selbstreferenziell ist. Die Pfadabhängigkeit in diesem System produziert einen ganz bestimmten Politikertypus und politische Antworten, die sich in einem gemächlichen, fossilen, ressourcenverbrauchenden, sich nicht verändernden, politischen Apparat bewegen und suggerieren, das sich mit einzelnen politischen Steuerungsmechanismen die Welt verändern ließe.
Mir scheint es wichtig, zunächst konkrete und zukunftsfähige Lebensentwürfe im post-fossilen Zeitalter zu entwerfen und dann die Frage zu beantworten, mit welchen Maßnahmen und Politikinstrumenten wir diese lebenswerten Zukünfte erreichen. Das geht weit über die Frage von Emissionsminderung hinaus. Nur so erreichen wir am Ende auch diejenigen, die nicht die Möglichkeit haben, sich in diesem sehr wissensintensiven Prozess von Zukunftsgestaltung zu beteiligen und sich selbst nicht in einer solchen Zukunft vorstellen können.
Sie sprachen bereits die Social Media-Kanäle als Diskussions- und Beteiligungsplattform an. Wie können wir es denn wieder erlernen, in den analogen, öffentlichen Raum zu gehen und uns an der Gestaltung von Gesellschaft und Stadt zu beteiligen?
Beteiligungsformate, so wie sie bspw. im Bereich Stadtplanung existieren, sind nach wie vor sehr geschlossene Systeme. Stadtgestaltung wird in den seltensten Fällen als etwas Kollektives wahrgenommen. Ich glaube aber, dass sich das verändert und die sozial-ökologische Transformation der Städte in einem neuen und sehr viel breiteren Modus der Partizipation längst begonnen hat.
Kopenhagen wurde zum Mekka einer fahrradgerechten Stadt, London verbannt die Autos aus der Innenstadt, Bogotá verwandelt seine Verkehrsadern zu Orten des Verweilens und Austauschs, Paris startet die Rückeroberung des öffentlichen Raumes für Fußgänger und Flaneure und macht Stadtautobahnen an der Seine zu Räumen der Erholung und urbanen Strandpromenaden.
In Utrecht wird die weltweit größte Fahrradgarage gebaut und die Dächer hunderter Bushaltestellen werden in urbane Bienenwiesen verwandelt. Diese neuen Natur- und Sozialräume zu schaffen, ist unglaublich wichtig. Sei es als Element der Stadtplanung oder aber durch eine Revolution von unten, aus der Bürgerschaft initiierte Maßnahmen der Stadtgestaltung. Durch diese Räume entsteht wieder ein Gefühl für Gemeinschaft und Gesellschaft und ein ganz neuer Bezug zu Stadt- und Naturraum.
Welche Impulse kann die Initiative Offene Gesellschaft e. V. dahingehend leisten?
Von Mai bis November 2019 reist die Initiative Offene Gesellschaft unter dem Motto „Die offene Gesellschaft in Bewegung“ durch Deutschland und schafft mit einer interaktiven Ausstellung einen neuen Raum, um über die Zukunft ins Gespräch zu kommen. In zehn Städten und auf Festivals laden wir die Bürgergesellschaft dazu ein, sich in dem Kontext des eigenen Quartieres mit Ideen zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft einzubringen. Die Ideen sammeln wir und entwickeln sie Ort für Ort weiter, bis nach Berlin, wo wir Ende 2019 die Ergebnisse vorstellen werden.
Das Spannende ist, dass zu unseren Tourstopps nicht die üblichen Verdächtigen aus einem oft linksliberalen Milieu kommen, sondern ein ganzer Querschnitt der Gesellschaft. Jugendliche, die sonst den ganzen Tag auf ihr Handy schauen, blühen plötzlich auf, weil sie Ideen loswerden können und mit Menschen in Kontakt kommen, mit denen sie sonst niemals in Kontakt kommen würden.
Das tut der Gesellschaft sehr gut, ganz egal in welchem Maße. Bei unserem Tourstart in Schwerin beteiligten sich 3.500 Bürgerinnen und Bürger. Die Menschen sind von dem großen, interaktiven Gesellschaftsspiel, das wir mitbringen, ganz erstaunt. Hier können sie mit spielerischen Elementen bestimmte Ideen durchspielen und auch die Konsequenzen erfahren. Spielerisch und durch den Austausch gelingt uns damit eine Art kollaborativer Modus von Stadtgestaltung.
Neben der Ausstellung wird den Besuchern an jeder Station ein vielfältiges Programm geboten, das wir gemeinsam mit lokalen Gruppen, Vereinen, Aktiven und Initiativen organisieren. Ein Highlight an jedem Ort ist eine große abschließende Debatte unter dem Motto: „Welches Land wollen wir sein?“. Diese Selbstermächtigung ist in meinen Augen ein wichtiges Prinzip, um Offene Gesellschaft zu leben. Dazu gehört es, zu erkennen, dass ich nicht von der Politik abhängig bin, sondern selbst die Möglichkeit habe, Ideen zu entwickeln und diese in die Entscheidungsmaschinerie einzubringen.
Wir sprachen jetzt vor allem über die dicht urbanisierten Räume. Eine große Herausforderung stellt aber v. a. auch die Entwicklung des ländlichen Raumes dar. Wie kann denn hier das Prinzip der offenen Gesellschaft greifen?
Wir brauchen polyzentrische Strukturen, die die Entwickung urbaner und ländlicher Räume kombinieren und müssen uns in diesem Zusammenhang definitiv viel stärker mit dem ländlichen Raum auseinandersetzen. Die Digitalisierung der Arbeitswelt wird zukünftig ein enormes Umdenken fordern, da sie insbesondere in ländlich gelegenen Haushalten die Generierung von Einkommen beeinflussen wird.
Wenn in einer digitalisierten Welt Arbeiten und Wohnen wieder stärker miteinander verknüpft werden, lässt sich auch der ländliche Raum besser entwickeln, wenn wir diesen an Breitbandversorgung und eine bessere Mobilitätsinfrastruktur anbinden. Das ist eine große Chance. Grundsätzlich werden wir in einer digitalisierten Zukunft eine andere Form von Arbeit und Einkommensgenerierung haben müssen, weswegen ich die Überlegung eines pilothaften Erprobens des bedingungslosen Grundeinkommens als absolut notwendig erachte. Wenn ich nicht mehr ausschließlich über Erwerbstätigkeit mein Einkommen sichere, wird auch der ländliche Raum deutlich attraktiver.
Kann durch ein bedingungsloses Grundeinkommen wieder mehr Motivation aufgebracht werden, sich aktiv an der Gestaltung von Gesellschaft und Raum zu beteiligen?
Selbstverständlich. Hier wären wir wieder beim Thema Angst. Sowohl in den ländlichen Räumen als auch in den unteren und mittleren Einkommensschichten dominiert oftmals die Angst vor dem Verlust der eigenen Existenzgrundlage. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen muss ich diese Existenzangst nicht mehr haben und kann mich anderen Dingen widmen, mich sozial engagieren. Das ist natürlich noch nicht abschließend erforscht und muss weiter erprobt werden. Ich denke übrigens, dass das eine wesentliche Grundvoraussetzung für die Zukunft ist: Dinge zu erproben, ohne zu wissen, ob diese auch funktioniert.
Wir dürfen nicht glauben, dass wir schon wüssten, wie diese Welt aussehen wird und mit welchen Instrumenten wir diese Zukünfte gestalten werden. Das gilt für die Politik, die viel fluider, temporärer und amorpher agieren muss. Wir kommen nicht um eine Politik des „Trial and Error“ herum, die auch mit dem Scheitern von Maßnahmen umgehen muss, da Politik immer an Lösungen arbeitet, die Widersprüche und Brüche hervorruft. Dasselbe gilt auch für das Bauen. Hier sind temporäre Lösungen und urbane Interventionen gefordert.
Dafür müsste sich dann aber auch das deutsche Baurecht etwas flexibler verhalten, oder?
Natürlich ist das die notwendige Voraussetzung. Nicht ohne Grund realisieren die großen Architekten ihre Projekte nicht in Deutschland, sondern anderswo. Auch die deutsche Automobilindustrie wird sich aufgrund der Elektromobilität, wie sie in China bereits großräumig auf den Markt gebracht wird, verändern und anpassen müssen.
Ob der politische Apparat in seiner Parteienlogik und seiner Abhängigkeit von ökonomischen Interessen der Automobilindustrie bei dieser Entwicklung mithalten kann, ist die große Frage, die wir uns stellen müssen. Derzeit ist unser Parteiensystem in seiner zunehmenden Ausdifferenzierung ein Ergebnis des Vertrauensverlustes in die Steuerungsfähigkeit von Politik.
Die Politik suggeriert uns, dass mehr Wohnungen gebaut werden müssen. Dabei müssten wir lediglich den Raum, der uns zur Verfügung steht, sinnvoller ausnutzen. Zahlreiche Büroräume stehen abends, nachts und am Wochenende leer. Dabei gibt es genügend Kreative, die erst abends anfangen zu arbeiten.
Es sind neue Nutzungsmodelle gefragt, statt Lösungen immer auf Grundlage des Status quo zu stellen. Alles, was wir tun, die Art und Weise, wie wir uns bewegen und mobil sind, wie wir wohnen, wie wir zusammenleben, kommunizieren und Einkommen generieren, wird sich substantiell ändern.
Sie gehen grundsätzlich mit einer deutlich optimistischen Einstellung an die Dinge heran. Warum ist das der bessere Weg?
Weil es der einzig zukunftsfähige Weg ist. Wir dürfen in dieser Transformation der Gesellschaft keine Angst vor dem Scheitern haben, denn das gehört zum Erproben dazu. Statt uns gegenseitig zu erzählen, was alles schlecht läuft, sollten wir uns lieber auf die Projekte des Gelingens konzentrieren und diese in den Vordergrund rücken. Was sich weltweit derzeit im Rahmen der Gestaltung und Rückeroberung öffentlicher Räume abspielt, sind vielversprechende Ansätze von Zukunftsfähigkeit. Daraus kann sich noch viel mehr entwickeln.
Alexander Carius ist Mitbegründer und Geschäftsführer der Berliner Denkfabrik adelphi und gründete im Herbst 2015 mit einigen Mitstreitern die bundesweite Initiative Offene Gesellschaft e.V. Der Politikwissenschaftler forscht zur Zukunft von Demokratie und Regieren in einer zunehmend amorphen Welt. Seit mehr als zwei Jahrzehnten arbeitet er zu den Themen Global Governance, Nachhaltige Ressourcennutzung, Klimarisiken, Krisen- und Konfliktprävention, Migration sowie Urbanisierung. Er berät Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, internationale Organisationen, die Europäische Kommission sowie Verbände. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge und Bücher.
Der Artikel "Offene Gesellschaft - Keine Angst vorm Scheitern" wurde im polis Magazin publiziert. Wir veröffentlichen den Text an dieser Stelle mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. Die PDF-Version des Artikels finden Sie hier.