Die verarbeitende Industrie ist ein Schlüsselsektor für die Wirtschaft und den Energieverbrauch der Europäischen Union und trägt fast ein Viertel zum CO2-Fußabdruck bei. Trotz politischer Maßnahmen zur Umsetzung von Energieaudits und zur Sensibilisierung für Energiesparmaßnahmen seit 2012 bleiben die Investitionen in die Energieeffizienz von Industrieunternehmen hinter den Zielen zurück.
Im Audit2Measure Projekt arbeitet adelphi research mit einem europäischen Team aus Energieberatungsunternehmen, Verbänden und Forschungseinrichtungen zusammen, um die Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen in Industriebetrieben nach Energieaudits zu steigern. Gefördert durch die Europäische Kommission (CINEA), läuft das Forschungsprojekt von November 2022 bis Oktober 2025 in sechs EU-Ländern (Deutschland, Griechenland, Italien, den Niederlanden, Spanien und Tschechien). Jeremy Bourgault, Manager, und Milan Matußek, Consultant im Energieprogramm, haben nach drei umfassenden Studien eine EU-weite Übersicht zum Stand der nationalen Auditsysteme und Politikempfehlungen zur Umsetzung von Artikel 11 „Energiemanagementsysteme und Energieaudits“ der novellierten europäischen Energy Efficiency Directive (EED) veröffentlicht.
Was sagt der Artikel 11 „Energiemanagementsysteme und Energieaudits“ der novellierten EED?
Die 2012 verabschiedete EED wurde im September 2023 grundlegend überarbeitet. Der für das Audit2Measure Projekt relevante Artikel 11 regelt die Verpflichtung zur Einführung von Energiemanagementsystemen beziehungsweise zur Durchführung von Energieaudits. Wesentliche Änderungen sind die Verpflichtung zur Einführung von Energiemanagementsystemen und die Einführung energiebezogener Schwellenwerte für verpflichtende Energieaudits. Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresenergieverbrauch von mehr als 85 TJ (23,5 GWh) über die letzten drei Jahre müssen ein Energiemanagementsystem einführen, während Unternehmen mit mehr als 10 TJ (2,78 GWh) alle vier Jahre ein Energieaudit durchführen müssen. Zudem müssen Unternehmen Aktionspläne veröffentlichen, die auf den Auditempfehlungen basieren und die Umsetzung der Maßnahmen aufzeigen. Diese Pläne und die Implementierungsrate von umgesetzten Maßnahmen müssen jährlich veröffentlicht werden.
Wie steht es aktuell um die Umsetzung von Energiesparmaßnahmen in der europäischen Industrie?
adelphi research hat in drei Studien die nationalen Auditsysteme, Entscheidungsprozesse in Unternehmen und systemische Hindernisse für Energiesparmaßnahmen (ESM) im verarbeitenden Gewerbe der Projektländer analysiert. Hierfür wurden nationale Datensätze des Büros für Energieeffizienz des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) ausgewertet und über 60 Unternehmen und Energieberater aus fünf Projektländern befragt. Die Ergebnisse beleuchten Hindernisse, Denkweisen und Entscheidungsprozesse, die Investitionen in Energieeffizienz beeinflussen. Diese Studien bilden die Grundlage für die „Audit2Action“-Strategie, die Industrieunternehmen ermutigen soll, Energiesparmöglichkeiten aus Audits umzusetzen.
Text
Die Analyse des Status quo der Auditsysteme in sechs EU-Mitgliedsstaaten bietet detaillierte Einblicke in Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Stärken und Schwächen der nationalen Systeme und seit kurzem auch einen komprimierten Überblick über die Auditsysteme aller 27 EU-Mitgliedsstaaten in Form von Factsheets. Seit 2014 haben die Mitgliedstaaten gemäß der EU-Energieeffizienzrichtlinie Energieaudit-Verpflichtungen für große Unternehmen eingeführt. Die politische Analyse zeigt jedoch erhebliche Unterschiede in Zielgruppen und Anspruchsniveau der Länder. Viele haben Kriterien für die Energieintensität in die Auditverpflichtung aufgenommen. Deutschland, Italien und die Niederlande gingen einen Schritt weiter, indem sie die Umsetzung eines bestimmten ESM verpflichtend machten, obwohl die Verpflichtung in Deutschland (EnSiMiMaV) nur als vorübergehende Maßnahme als Reaktion auf die Energiekrise gedacht war. Auch die Anforderungen an die ESM-Bewertungskriterien für Wirtschaftsprüfer variieren, was zu unterschiedlichen Risikowahrnehmungen bei Effizienzinvestitionen führen kann.
Link Überschrift
AUDIT2MEASURE State of the Art of Energy Auditing System and ESM Implementation
Der Bericht zur Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen und den dazugehörigen Entscheidungsprozessen basiert auf einer qualitativen Auswertung der Unternehmensbefragung und bestätigt, dass in den meisten Unternehmen vor allem "low hanging fruits" umgesetzt werden, also Maßnahmen mit schnellen Amortisationszeiten und geringen Investitionskosten. Darüber hinaus ist die Geschäftsführung meistens für die endgültigen Investitionsentscheidungen verantwortlich, benötigt jedoch oft mehr Sensibilisierung für Energieeffizienz. Nur wenige Unternehmen verfügen derzeit über ein unterstützendes Energiemanagementsystem. Obwohl die Auditor*innen eine wichtige Rolle spielen, weisen mehr als ein Drittel in ihrer Bewertung nicht auf den Nicht-Energetischen Nutzen (Non-Energy Benefits) von ESM hin und geben keine Umsetzungsanleitungen wie Investitions- und Monitoring-Pläne.
Die Analyse der Treiber und Hemmnisse für die Umsetzung von Energiesparmaßnahmen in Industrieunternehmen in Europa beruht auf eine umfassende Literaturauswertung und Befragungsergebnissen. Sie bestätigt, dass die größten Hindernisse für die Verbesserung der Energieeffizienz hauptsächlich wirtschaftlicher und organisatorischer Natur sind. Zu hohe Investitionskosten, lange Amortisationszeiten, anderweitige Prioritäten, Zeitmangel und Schwierigkeiten bei der Umstellung von Routinen wurden als Hauptgründe genannt. Informations- und Kompetenzhürden, wie fehlendes Know-how und ungenaue Empfehlungen, sind weniger bedeutend, obgleich sie bei kleineren Unternehmen stärker ausgeprägt sind. Neben finanzieller Förderung können Sensibilisierungsmaßnahmen und Schulungen den Ehrgeiz wecken und internes Know-how aufbauen, während ein Energiemanagementsystem die Informationslücken abbaut.
Link Überschrift
AUDIT2MEASURE Report of barriers affecting the uptake of ESM in companies
Ergänzend zur Analyse der Ordnungsrahmen der sechs Partnerländer haben die Autoren eine flächendeckende Erfassung der nationalen Auditsysteme aller EU-Mitgliedstaaten durchgeführt. Dazu wurden nationale Expert*innen, Energieagenturen und Ministerien über adelphi researchs Partner und Netzwerke kontaktiert und befragt. Die Ergebnisse wurden in 27 Factsheets auf der Audit2Measure Webseite veröffentlicht. Sie fassen den Stand der Auditsysteme, deren Vollstreckung und Evaluierung sowie nationale Informationsangebote und Handlungsorientierungen zusammen. Dadurch konnten Tendenzen und Best Practices in den 27 Ländern identifiziert werden, die in Politikempfehlungen eingeflossen sind. Eine Übersichtstabelle der 27 erfassten nationalen Ordnungsrahmen ist hier verfügbar.
Wichtige Kennzahlen
Kennzahl (oder Token)
8
Überschrift
Mitgliedstaaten
Beschreibung
richten ihre Auditpflichten bereits gezielt auf große Energieverbraucher aus.
Kennzahl (oder Token)
85
Überschrift
Prozent
Beschreibung
des Energieverbrauchs von Unternehmen müssen im Durchschnitt in der EU in den verpflichtenden Audits oder Energiemanagementsysteme abgedeckt werden.
Kennzahl (oder Token)
4
Überschrift
Mitgliedstaaten
Beschreibung
verpflichten derzeit große Energieverbraucher, Energiesparmaßnahmen umzusetzen. In Deutschland bestand diese Verpflichtung vorübergehend bis 2024.
Bild
Text
Politikempfehlungen für eine wirkungsvolle Umsetzung der neuen Anforderungen der EED an Energiemanagement und Energieaudits in Unternehmen
Die novellierten EU-Regelungen stellen sowohl die EU-Mitgliedstaaten als auch die europäischen Unternehmen vor neue Herausforderungen. Die Mitgliedstaaten sollen die Änderungen der EED-Novelle in nationales Recht umzusetzen, sodass die Unternehmen ab 2026 zum Vollzug verpflichtet werden. Die Regierungen können entscheiden, ob sie nur die Mindestvorgaben der EED-Novelle erfüllen oder ambitioniertere Vorgaben setzen. Im Hinblick auf die europäischen Klimaziele sollte das Ziel der Mitgliedstaaten eine ambitionierte und handlungsorientierte Umsetzung sein, die die Unternehmen nicht überfordert und durch Anreize und Fördermaßnahmen zur Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen unterstützt werden. Ein erster Schritt wäre, Anforderungen für die Inhalte der Aktionspläne zu definieren.
Die Autoren haben im Rahmen dieses nationalen Gesetzgebungsprozess einen Bericht mit Politikempfehlungenveröffentlicht. Dafür wurden die wichtigsten Erkenntnisse des Audit2Measure-Konsortiums gesammelt und nationale Energieagenturen und Ministerien der Partnerländer zu ihrem Anpassungsprozess befragt. Die wesentlichen Empfehlungen sind hier zusammengefasst:
Anreize, Sensibilisierung und verbindliche Zielsetzungen für die Maßnahmenumsetzung: Um finanzielle Hemmnisse abzubauen, schlagen die Autoren eine gezieltere finanzielle Förderung von Effizienzmaßnahmen vor, die ein hohes Energieeinsparpotenzial aufweisen, aber aufgrund hoher Investitionskosten oder technischer Komplexität selten umgesetzt werden. Sie empfehlen den EU-Staaten, inhaltliche und qualitative Mindestanforderungen an die Aktionspläne einzuführen, um deren Verbindlichkeit und Umsetzbarkeit zu sichern. Zudem wird empfohlen, Maßnahmen zu ergreifen, um Unternehmen für Klimaschutz und Energieeffizienz zu sensibilisieren und ihren Stellenwert zu erhöhen, damit langfristige Strategien zur Reduzierung des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen eingeführt werden.
Erhöhte Qualitätsanforderungen und Kontrollen für Audits und Energieberater Zur Förderung eines ganzheitlicheren Ansatzes zum Umwelt- und Klimaschutz wird die verstärkte Förderung von Umweltmanagementsystemen vorgeschlagen. Viele Unternehmen kritisieren die Qualität der Energieaudits und den geringen Informationsgehalt zur Umsetzung der Maßnahmen. Daher wird empfohlen, Energieauditor*innen zu regelmäßiger Aus- und Weiterbildung zu verpflichten und die Anforderungen an Energieaudits zu standardisieren, um die Qualität zu verbessern und den Unternehmen eine bessere Bewertungsgrundlage für die Umsetzung von Effizienzmaßnahmen zu bieten. Regelmäßige Evaluierungen der nationalen Auditsysteme sind entscheidend, um Lücken und Verbesserungspotenziale zu identifizieren. Hierzu sollten die Mitgliedstaaten auch weiterhin von der EU unterstützt werden.
Harmonisierung und Transparenz der europäischen Anforderungen Auf EU-Ebene empfehlen die Autoren eine Harmonisierung der Mindestanforderungen an Auditor*innen, ergänzt durch zusätzliche Anforderungen an Energieaudits. Die Schaffung von Synergien zwischen der EED und anderen EU-Rechtsvorschriften wie CSRD, IED und E-PRTR, wie die Bezugnahme auf bereits erhobene Daten, wird ebenfalls vorgeschlagen.
Die nächsten Schritte im Audit2Measure Projekt
Audit2Measure läuft bis 2025. Die neun Projektpartner aus Griechenland, Italien, den Niederlanden, Spanien und der Tschechischen Republik arbeiten eng mit Unternehmen zusammen, unterstützen sie bei der Identifizierung und Verbesserung betrieblicher Hemmnisse, beraten zu Fragen der Energieeffizienz und helfen bei der Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen. Sie dokumentieren, evaluieren und verstetigen die Prozesse. Die Erfahrungen und Ergebnisse fließen in den Bericht zu Politikempfehlungen ein. Eine zweite Version ist zum Projektende geplant. adelphi research wird im letzten Quartal 2025 eine Abschlusskonferenz mit relevanten europäischen Stakeholdern organisieren, um die Ergebnisse zu verbreiten und die Diskussion zur Umsetzung des Artikel 11 der EED in den EU-Mitgliedsstaaten anzuregen.