
Nach der Hitze ist vor dem Arbeitskampf
Kommentar von Vivianne Rau
News vom 28. Febr. 2018
Die Reform des EU-EHS, der Start des bisher größten CO2-Marktes in China, diverse neue Kooperationsinitiativen: Im Interview fasst Dr. Constanze Haug, Leiterin des ICAP-Sekretariats, die wichtigsten Ergebnisse des frisch veröffentlichten ICAP Status Report zusammen.
Der ICAP Status Report 2018 zeigt deutlich: Emissionshandelssysteme (EHS) haben sich als Kerninstrument des Klimaschutzes weltweit etabliert. Immer mehr Länder setzten auf EHS, um ihre Ziele im Rahmen des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen. 2017 sind neue wichtige CO2-Märkte entstanden, und gleichzeitig wurden viele der bereits etablierten Systeme reformiert und miteinander verknüpft.
Was im ersten Jahr nach dem Inkrafttreten des Pariser Abkommens die besonderen Highlights im Emissionshandel waren, verrät Dr. Constanze Haug, Senior Projektmanagerin bei adelphi und Leiterin des Sekretariats der International Carbon Action Partnership (ICAP) in unserem Interview –und blickt für uns in die nähere Zukunft des Emissionshandels.
Constanze Haug: Mit der EU-EHS-Reform hat die EU einen verbindlichen Minderungspfad für Industrie und Energiesektoren bis 2030 beschlossen. Zugleich hat sie sich dem Problem des bestehenden Zertifikatsüberhangs am Markt angenommen. Das sendet ein wichtiges Signal, auf das der Markt bereits mit steigenden Preisen reagiert hat – mit dem Ergebnis, dass der Preis je Tonne CO2 mit zuletzt über zehn Euro den höchsten Stand seit sechs Jahren erreicht hat.
Die Chancen sind damit erheblich gestiegen, dass der Emissionshandel in der Europäischen Union wieder eine echte Lenkungswirkung entfalten kann. Gleichzeitig geht die Diskussion weiter, ob die beschlossenen Reformen weit genug gehen, oder ob es noch weiterer Maßnahmen wie etwa eines CO2-Mindestpreises bedarf. Auf EU-Ebene dürfte ein Mindestpreis wohl kaum Zustimmung finden, aber gegebenenfalls könnte eine „Koalition der Willigen“ aus einigen progressiven EU-Mitgliedsstaaten einschließlich Deutschland hier vorangehen.
Mittelfristig erfordert auch die Logik des Pariser Klimaabkommens, dass die Ambition in der Klimapolitik über die nächsten Jahre konsequent gesteigert wird. Hier wird auch der Emissionshandel seinen Beitrag leisten müssen. Das ist die große Herausforderung der nächsten Jahre!
Constanze Haug: 2017 wurden wichtige neue Emissionshandelssysteme eingeführt und bestehende Systeme weiterentwickelt. Europa, subnationale Systeme in Kalifornien und an der US-Ostküste sowie Neuseeland haben im vergangenen Jahr grundlegende Reformen umgesetzt, um ihre EHS fit für die Erreichung der Klimaziele der 2020er Jahre zu machen.
Eine wesentliche Lehre aus mehr als zehn Jahren Emissionshandel war dabei unter anderem, dass es Instrumenten wie Mindestpreisen oder Zertifikatsreserven bedarf, um angesichts erheblicher Unsicherheiten in der Emissionsentwicklung für ein stabiles CO2-Preissignal zu sorgen. In allen Systemen sind die CO2-Preise im Nachgang der Reformbeschlüsse gestiegen – vielleicht nicht in dem Maße wie Klimaschützer es gerne hätten, aber die Richtung stimmt.
Gleichzeitig hat die Einführung von neuen Kohlenstoffmärkten zu einer Ausbreitung der CO2-Bepreisung weltweit geführt. Dank des Paris-Abkommens, das verbindliche Zusagen zum Klimaschutz von seinen Unterzeichnern fordert, ist das Interesse an Emissionshandel auch in Entwicklungs- und Schwellenländern stark gestiegen. Der wohl wichtigste neue Player ist China. Die Ankündigung der chinesischen Regierung, ein Emissionshandelssystem für den Stromsektor einzuführen, sendet ein wichtiges Signal: Wenn der größte CO2-Emittent der Welt auf Emissionshandel setzt, ist das ein wichtiger Vertrauensbeweis in das Instrument.
Auch in Lateinamerika schreiten die Bemühungen um CO2-Handelssysteme voran. Mexiko plant den Start eines EHS für 2018. Langfristig wird hier die Entwicklung eines regionalen Kohlenstoffmarktes auf dem amerikanischen Kontinent angestrebt. Damit würde Lateinamerika einem breiteren Trend folgen: Größere Märkte sind effizienter, daher entstehen immer mehr Verknüpfungen verschiedener Systeme.
Die kanadische Provinz Ontario hat ihr EHS bereits mit Kalifornien und Québec verknüpft und auch die Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz bezüglich eines gemeinsamen Kohlenstoffmarktes wurden 2017 abgeschlossen. Die Schaffung gemeinsamer Märkte trägt nicht nur maßgeblich zur Verstetigung des CO2-Handels bei, sondern ist vor allem auch ein kräftiges politisches Symbol.
Constanze Haug: Die jüngsten Entwicklungen des weltweiten Emissionsmarktes zeigen deutlich: Emissionshandelssysteme sind ein zentraler Baustein zur Erfüllung der Ziele des Pariser Abkommens. Wir gehen davon aus, dass künftig noch mehr nationale und subnationale Regierungen CO2-Märkte einführen und ihre Systeme enger mit den EHS anderer Ländern verknüpfen werden. Langfristig könnten so regionale EHS-Hubs auf den verschiedenen Kontinenten entstehen – die wiederum die Basis für einen globalen CO2-Markt bilden würden.
Constanze Haug: Einerseits muss ein EHS durch das Setzen einer ambitionierten Emissionsobergrenze (dem ‚Cap‘) und einen langfristig angelegten Minderungspfad einen echten Anreiz zur Emissionsminderung und ein langfristig wirksames Investitionssignal schaffen. Gleichzeitig muss ein System jedoch auch Flexibilität ermöglichen, um bei Bedarf nachjustieren zu können.
Regelmäßige Überprüfungen bieten die Möglichkeit, ein EHS an neue Entwicklungen anzupassen. Nicht zuletzt muss der Vollzug des Systems robust sein, mit unabhängig überprüfter Emissionsberichterstattung, einem funktionierenden Handelsplatz und einer konsequenten Ahndung von Verstößen.
Letzteres dürfte gerade die nächste Generation von Emissionshandelssystemen vor erhebliche Herausforderungen stellen. Hier sind die EHS-Pioniere in der EU und Nordamerika sowie Organisationen wie die Weltbank gefragt, denn sie können den Aufbau von entsprechenden lokalen Kapazitäten zu unterstützen. Auch Foren wie ICAP leisten einen wesentlichen Beitrag zum Erfahrungsaustauch und letztendlich zum internationalen „policy learning“.
Constanze Haug: adelphi unterstützt ICAP bereits seit dessen Gründung im Jahr 2007. Wir sind das institutionelle Rückgrat von ICAP und haben maßgeblich zur Weiterentwicklung des internationalen Forums beigetragen. Wir stellen die Mitarbeiter für das Sekretariat und gestalten die strategische Ausrichtung, moderieren den Dialog zwischen den internationalen Regierungsvertretern und halten aktuelle Entwicklungen des CO2-Marktes in Analysen fest. Im Lauf der Jahre hat sich ICAP damit als Wissenshub rund um das Thema Emissionshandel etabliert. Unsere Funktion hat sich entsprechend von einer Moderatoren- hin zu einer Expertenrolle mit breitem Überblick über den Emissionshandel weltweit gewandelt.
Der ICAP Status Report wird jährlich veröffentlicht und enthält Beiträge von politischen Entscheidungsträgern und Kohlenstoffmarktexperten zu den jüngsten Trends und Perspektiven zum Thema Emissionshandel weltweit. Den Bericht, sowie Kurzfassungen auf Chinesisch, Englisch und Spanisch, Infografiken und ein kurzes Video, finden Sie auf der ICAP-Website. Weitere Informationen erhalten Sie auch in der Pressemitteilung zur Veröffentlichung des Berichts.
ICAP ist ein multilateraler Zusammenschluss aus aktuell 35 nationalen und subnationalen Regierungen und Behörden, in dem sich Regierungsvertreter umfassend über Wissen und Erfahrungen zum Aufbau und Betrieb von Emissionshandelssystemen (EHS) austauschen.
Das ICAP-EHS Handbuch, veröffentlicht in Zusammenarbeit mit der Weltbank, bietet einen praktischen Leitfaden zur Umsetzung von EHS, basierend auf einem Jahrzehnt von Erfahrungen mit Emissionshandel weltweit.