Nach Baku - die COP braucht endlich wieder ein Heimspiel
Kommentar von Dennis Tänzler
News vom 03. Febr. 2023
Wegen Russlands Krieg sind heute weite Teile der Ukraine beschädigt oder zerstört. Das Land wiederaufzubauen, wird viele Jahre dauern. Beileibe keine einfache Aufgabe. In einer neuen Publikation schlägt adelphi verschiedene Prinzipien für einen grünen Wiederaufbau der Ukraine vor.
Städte wie Mariupol oder Charkiw müssen umfassend umgebaut werden. Manch kleinere Stadt in der Ukraine muss komplett neu errichtet werden. Hunderttausende von Ukrainer*innen brauchen neue Wohnungen. Straßen, Brücken, Bahnstationen, Flughäfen – die ukrainische Infrastruktur ist immer wieder Ziel russischer Raketen. Der Schaden für den Agrarsektor des Landes beläuft sich bisher auf rund sechs Milliarden Euro. Und die meisten staatlichen Bergwerke in Kohleregionen sind entweder zerstört, besetzt oder unrentabel geworden. Unterdessen verteidigt die ukrainische Bevölkerung entschlossen ihr Land und kämpft weiter ums Überleben.
Die Gretchenfrage also vorweg: Ist es angesichts des anhaltenden Krieges und der immensen menschlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Verluste womöglich verfrüht oder gar vermessen, sich ernsthaft Gedanken über den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur der Ukraine zu machen? (Und dann soll dieser auch noch am besten „grün“ sein?) Aber vielleicht stellt sich diese Frage nicht mehr: Denn der Wiederaufbau ist längst im Gange, zum Beispiel in Regionen, die bereits von der Ukraine befreit wurden, wie Kiew oder Tschernihiw. Zudem geht es nicht nur um einen schnellen Wiederaufbau und die Wiederherstellung grundlegender staatlicher Leistungen, sondern auch um die künftige wirtschaftliche Entwicklung des Landes.
Charkiw, Ukraine, vor dem Krieg
Darüber hinaus haben die ukrainische Regierung und internationale Partner bereits die Notwendigkeit und Bedeutung eines grünen Wiederaufbaus der Ukraine unterstrichen. Im Sommer 2022 hat die Ukraine einen Recovery Plan auf einer internationalen Konferenz in Lugano vorgestellt. Transparenz und Nachhaltigkeit gehörten zu den auf der Konferenz vereinbarten Leitprinzipien für den Wiederaufbau. Ein grüner Wiederaufbau würde es der Ukraine ermöglichen, ihre wichtigsten sozialen, wirtschaftlichen und geopolitischen Ziele zu erreichen: nämlich energetisch unabhängig von russischen fossilen Brennstoffen zu werden, die Integration in die EU zu beschleunigen und die sozialen und ökologischen Vorteile eines grünen Wiederaufbaus zu nutzen. Gleichzeitig könnten neue wirtschaftliche Chancen erschlossen und brachliegende Vermögenswerte vermieden werden.
Aufgrund zahlreicher Kompromisse und der Notwendigkeit, starke Abhängigkeiten aus der Vergangenheit zu überwinden, wird der grüne Wiederaufbau jedoch nicht einfach zu bewerkstelligen sein. Er erfordert eine gründliche Planung und Umsetzung. Es zeichnet sich aber ein Konsens darüber ab, dass der Wiederaufbau den Weg zu einer nachhaltigen, kohlenstoffarmen Entwicklung im Einklang mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und dem Pariser Klimaabkommen ebnen muss. Da die Ukraine der EU beitreten will, ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Wiederaufbau an den Zielen und Grundsätzen des Europäischen Green Deals ausgerichtet wird, schreiben die Autorinnen Iryna Holovko und adelphi-Geschäftsführerin Constanze Haug. Das schließt auch das ehrgeizige Ziel ein, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein.
Die adelphi-Expertinnen schlagen vor: Der Wiederaufbauprozess sollte inklusiv und transparent sein und Entscheidungstragende, Unternehmen, regionale und kommunale Behörden in den betroffenen Regionen sowie Organisationen der Zivilgesellschaft miteinbeziehen. Für eine hohe öffentliche Akzeptanz der Pläne müssen auch zweifelsohne die Bedürfnisse der Bevölkerung berücksichtigt werden. Um den Wiederaufbau effizient und effektiv zu gestalten und den internationalen Partnern und Gebern die Gewissheit zu geben, dass finanzielle Mittel sinnvoll eingesetzt werden, muss die Ukraine für Transparenz bei den Ausgaben sorgen und Reformen zur Korruptionsbekämpfung und Rechtsstaatlichkeit vorantreiben – Stichwort: gute Regierungsführung.
Ein Ministerium oder eine Behörde könnte außerdem als zentrale Koordinierungsstelle für internationale Partner und ukrainische Behörden dienen. Die Zusammenarbeit in den Bereichen Technologie, Forschung, Bildung und Innovation sollte noch mehr Förderung genießen, um lokales Know-how für die Umsetzung kohlenstoffarmer Technologien und hoher Standards für Energieeffizienz zu sichern. Es sollten ferner grüne Finanzmittel für klimafreundliche Projekte bereitgestellt werden, es gibt hier viele verschiedene Wege. Klimaaspekte sollten bei allen Investitionen in den Wiederaufbau berücksichtigt werden, um klimaschädliche Investments möglichst zu vermeiden.
Eine Vision für den grünen Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg muss in allen Schlüsselbereichen der Wirtschaft verwirklicht werden: In den Städten sollte die Energieeffizienz in Häusern – sowohl Neubau als auch Sanierung – und die Klimaresilienz in urbanen Räumen gesteigert werden. Der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel im Zeichen von Smart Mobility sollte im Vordergrund stehen. Lokale Lösungen für Strom und Heizung in Verbindung mit erneuerbaren Energien können die Energieinfrastruktur modernisieren. Hier muss sowieso vieles repariert oder ersetzt werden, darunter beschädigte Wärmekraftwerke und Kesselhäuser, Teile der Hochspannungs- und Verteilungsnetze sowie zahlreiche Anlagen für erneuerbare Energien, insbesondere Solarenergie. Und es mag makaber klingen, aber der Wiederaufbau von Städten biete auch eine Chance, die grüne Stadtplanung mit dem Schwerpunkt Klimaanpassung zu verbessern – auch im Austausch mit anderen europäischen Städten oder im Rahmen von EU-Initiativen wie dem New European Bauhaus.
Für die Schwerindustrie und das verarbeitende Gewerbe ist es ebenso wichtig, klimaschädliche Technologien aus dem 20. Jahrhundert zu umgehen. Vielmehr sollte die Ukraine verstärkt in neue Wertschöpfungsketten und Märkte für kohlenstoffarme Produkte eingegliedert werden. Die konventionelle Stahl- und Eisenproduktion beispielsweise wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren wahrscheinlich ohnehin nicht mehr rentabel sein. Im Verkehrswesen sollten die Sanierung und der Ausbau der Eisenbahninfrastruktur hohe Priorität haben. Denn der Bahnverkehr ist immer noch die energieeffizienteste und nachhaltigste Form des Transports.
Die Wiederherstellung des ukrainischen Agrarsektors sollte Hand in Hand mit der Unterstützung der betroffenen ländlichen Regionen gehen. Hunderte von Dörfern im ganzen Land wurden und werden durch den Krieg verwüstet. Vor allem Landwirte in kleinen und mittleren Betrieben, in denen 80 Prozent aller landwirtschaftlichen Arbeitskräfte arbeiten, sollten laut der Studie vorrangig unterstützt werden. Deren finanzielle Unterstützung sollte mit Programmen zum Wissensaustausch über nachhaltige Landwirtschaft und zur Anpassung an EU-Vorschriften und -Verordnungen verknüpft werden. Investitionen in die Sanierung staatlicher Bergwerke in den Kohlebergbauregionen zahlen sich wahrscheinlich nicht mehr aus und würden zu gestrandeten Vermögenswerten führen. Die bereits angestoßene regionale und sozial-gerechte Wandel der Kohleregionen sollte weiter unterstützt werden, um den bislang benachteiligten Gebieten und den Menschen vor Ort eine neue langfristige Entwicklungsperspektive zu eröffnen.
Abschließend wird in dem Paper empfohlen, dass die Partner der Ukraine, einschließlich der EU, ihrer Mitglieder und Organisationen, der USA und der G7, unter anderem die folgenden Schritte unternehmen: Sie sollten etwa gemeinsam mit der ukrainischen Regierung den Wiederaufbauplan mit den Zielen des europäischen Green Deals abstimmen und die wichtigsten Prioritäten und Ziele festlegen. Man müsse sich auch auf gewisse Strukturreformen und Umsetzungsfristen im Hinblick auf Korruptionsbekämpfung und Rechtsstaatlichkeit einigen, die für einen grünen und transparenten Wiederaufbau unerlässlich sind. Um diesen zu operationalisieren, würde eine Reihe von Indikatoren ähnlich der EU-Taxonomie allen Beteiligten eine klare Orientierung für nachhaltige Investitionen geben.
Mit der Publikation „Rebuilding Ukraine – Principles for a green post-war reconstruction” will adelphi einen Beitrag zur Planung des Wiederaufbaus der Ukraine leisten. Sie können das Nonpaper hier kostenlos herunterladen.
Kontakt: holovkoadelphi [dot] de (Iryna Holovko), Advisor bei adelphi