Die fünfte Verhandlungsrunde zum globalen Plastikabkommen: Chancen und Hindernisse
News vom 19. Nov. 2024
Kommentar von Evita Hegmann, Johanna Katharina Mützel, Maro Luisa Schulte
Im globalen Kampf gegen Plastikverschmutzung ist ein Perspektivwechsel nötig. Neben nachgelagerten Lösungen wie besserem Recycling müssen vorgelagerte Maßnahmen berücksichtigt werden, etwa eine Begrenzung der Primärkunststoff-Produktion.
In der kanadischen Hauptstadt Ottawa ging Ende April die vorletzte Verhandlungsrunde für das globale Abkommen zur Beendigung der Plastikverschmutzung zu Ende. Wenngleich Fortschritte bei den Verhandlungen erzielt wurden, liegt eine Einigung noch in weiter Ferne.
Zwar sind sich die Vertragsparteien einig, dass das künftige Abkommen Bestimmungen zum Abfallmanagement enthalten muss. Einige Länder und Ländergruppen lehnen aber weiterhin jegliche Bestimmungen ab, die die frühen Phasen im Lebenszyklus von Kunststoffen regulieren sollen. So bleibt eines der grundlegenden Probleme bisher ungelöst:
Zwar findet mittlerweile der Kampf gegen die Verschmutzung durch Kunststoffe weltweit eine ungeahnte Aufmerksamkeit. Das gilt auch für die Verhandlungen über ein verbindliches Abkommen. Der globale Fokus richtet sich aber immer noch stark auf nachgelagerte Lösungen wie die Säuberung von Stränden oder die Verbesserung der Abfallentsorgung und der Recycling-Infrastruktur.
Deutlich weniger Aufmerksamkeit wird vorgelagerten Maßnahmen auf der Produktions- und Vertriebsebene geschenkt. Diese Konzentration auf die nachgelagerte Ebene wirkt vergleichsweise so, als wollte man unter einem überlaufenden Waschbecken den Boden wischen, aber nicht den Wasserhahn zudrehen.
Sicher ist die Verbesserung des Abfallmanagements vor allem im globalen Süden nach wie vor von entscheidender Bedeutung. Doch es reicht nicht aus, nur hinter uns aufzuräumen.
Bis 2060 sollen sich der weltweite Kunststoffverbrauch und die daraus resultierenden Abfallmengen schätzungsweise fast verdreifachen.
Der damit verbundene Anstieg von Einwegplastikmüll stellt sogar für die gut etablierten Abfallsysteme im globalen Norden schon jetzt eine große Herausforderung dar. Eine Folge davon ist, dass Kunststoffabfälle in wirtschaftlich benachteiligte Länder mit unzureichender Abfallentsorgungsinfrastruktur exportiert werden. Das verschärft die Plastikkrise weiter.
Der in Ottawa diskutierte Entwurf des Weltkunststoffvertrags enthält sowohl vor- als auch nachgelagerte Maßnahmen. Unterschiedliche Auffassungen der Verhandlungsführer*innen über die Notwendigkeit und die konkrete Form vorgelagerter Maßnahmen behindern jedoch einen Konsens.
Beispiele für vorgelagerte Maßnahmen sind der Vorschlag, die Produktion von Primärkunststoffen weltweit zu beschränken oder die darin enthaltenen, häufig gesundheitsschädlichen Chemikalien zu regulieren.
Eine zurzeit aus über 60 Ländern bestehende und stetig wachsende "High Ambition Coalition" setzt sich dabei für rechtlich verbindliche vorgelagerte Verpflichtungen ein, während eine Gruppe überwiegend öl- und gasproduzierender Länder, die sogenannte Like-Minded Group, alle Maßnahmen ablehnt, die auf die Kunststoffproduktion selbst oder die Produktgestaltung abzielen. Die verhandelnden Delegationen stehen vor der Aufgabe, diese stark konkurrierenden Interessen auszugleichen.
Ein weiteres Hindernis für die Annahme wirksamer Vorschriften stellt die Lobbyarbeit dar, insbesondere von Branchen wie der Öl- und Gasförderung. Angeheizt durch die sinkende Nachfrage nach fossilen Energierohstoffen hat sich die Kunststoffproduktion zu einem Ausweichgeschäft für die petrochemische Industrie entwickelt. Diesen letzten Strohhalm will sich der Industriezweig offensichtlich nicht nehmen lassen. Das zeigt sich auch an der starken Vertretung der Branche bei den Verhandlungen.
Anlass zur Sorge gibt auch, dass Vertreter*innen der Petrochemie und der Polymerhersteller bei den Vertragsverhandlungen in Ottawa in den nationalen Delegationen von Ländern wie China, Iran, Kuwait, Malaysia und Thailand zu finden sind. Immer wieder ist auch Kritik zu hören, das Plastikabkommen werde im Elfenbeinturm beschlossen und die Bedürfnisse der Menschen vor Ort würden nicht ausreichend berücksichtigt.
Dabei werden nachgelagerte Maßnahmen bei der Bekämpfung der Plastikverschmutzung weiterhin von entscheidender Bedeutung sein. Nur müssen die vorgelagerten Maßnahmen als Katalysator für die Bemühungen vor Ort betrachtet werden, um endlich die für eine deutliche Verringerung der Plastikverschmutzung erforderliche Handlungsgeschwindigkeit zu erreichen.
Die globale Zusammenarbeit, also auch das Abkommen, hat dabei das Potenzial, systemische Veränderungen zu ermöglichen, die über den Handlungsspielraum einzelner Länder hinausgehen:
Die Bekämpfung der Plastikverschmutzung erfordert einen mehrgleisigen Ansatz, bei dem vorgelagerte Regelungen als Grundlage für weitere Bemühungen dienen. Um erfolgreich und wirksam zu sein, muss das globale Abkommen deswegen rechtlich verbindliche Verpflichtungen sowohl für die vorgelagerten als auch für die nachgelagerten Bereiche enthalten. Dies fordert eine große und stetig wachsende Gruppe ehrgeiziger Nationen bei den Verhandlungen.
Darüber hinaus wird der Gesamterfolg des Vertrags stark davon abhängen, mit welchen Kapazitäten die Länder und Projekte die Bestimmungen umsetzen können. Die Verhandlungsführenden müssen also die Kluft zwischen hohen Ambitionen und finanzieller sowie technischer Unterstützung für Länder mit begrenzten Kapazitäten überbrücken.
Wie dies erreicht werden kann, ist eine wichtige Frage, an der die Delegationen bis zur nächsten Verhandlungsrunde Ende November im südkoreanischen Busan und wahrscheinlich darüber hinaus arbeiten müssen.
Dieser Artikel erschien am 16.05.2024 im klimareporter.