Die fünfte Verhandlungsrunde zum globalen Plastikabkommen: Chancen und Hindernisse
News vom 19. Nov. 2024
Kommentar von Christiane Röttger
Heute ist ein Tag zum Feiern, oder zum Gedenken, je nach dem. Es ist der internationale Tag der biologischen Vielfalt, dieses Jahr unter dem Motto "Be part of the plan". Nachdem die sogenannten Aichi-Ziele zum Schutz der Biodiversität im Jahr 2020 nicht erreicht wurden, soll es nun der Globale Rahmen zur Biodiversität richten, der von den Mitgliedstaaten der Biodiversitätskonvention CBD im Jahr 2022 verabschiedet wurde. Dieses Mal aber wirklich.
Es mangelt nicht an Ambitionen, Zielen und Maßnahmenpaketen auf allen Ebenen, und sie sind bitter nötig: Knapp 70 Prozent der globalen Artenvielfalt ist bereits vernichtet, bis zu einer Million Arten sind vom Aussterben bedroht, die Korallenriffe bleichen der Reihe nach aus, Wälder und Feuchtgebiete schrumpfen zusammen, mehr als die Hälfte der lebendigen Biomasse ist bereits zu Beton, Infrastruktur und Konsumgütern umgewandelt.
Zerstörung und Ausbeutung von Ökosystemen, Verschmutzung und Vergiftung durch Plastik, Pestizide, Gülle, Chemikalien, Müll und Elektroschrott, der Klimawandel, invasive gebietsfremde Arten – alles normalisierte Kollateralschäden unseres Wirtschaftssystems. Unsere natürliche Mitwelt verschwindet immer weiter und mit ihr unsere Möglichkeiten, uns in ihr zu erholen, zu regenerieren, uns an Blumen, Bäumen, Tieren, Seen oder Wäldern zu erfreuen, Lebensmittel in fruchtbaren Böden anzubauen, Trinkwasser aus der Erde zu gewinnen, saubere Luft zu atmen oder das Klima noch halbwegs zu stabilisieren.
Das scheint nur niemanden wirklich zu interessieren. Naturschutz rangiert nicht nur weit unten auf der Prioritätenliste von Medien und Politik, er bekommt auch enormen Gegenwind. Die Fortschritte der letzten Jahre werden torpediert und in Frage gestellt, Naturschutz steht zunehmend im Zentrum eines Kulturkampfes, wie man an der Debatte um das EU Restoration-Law beobachten kann. Naturschutz und Regeneration wird scheinbar mit allen Mitteln bekämpft. Woran liegt das?
Tatsache ist, dass wir die Vernichtung unserer lebenserhaltenden Biosphäre aufhalten könnten – wenn wir denn nur wollten: Maßnahmen zum Schutz der Natur sind wirksam, wie eine aktuelle Studie zeigt, die gerade im Journal Science veröffentlicht wurde. Sie müssten eben systematisch ausgeweitet, gestärkt und ausreichend finanziert werden. Gleichzeitig müssen wir natürlich ran an die Wurzeln der Zerstörung und diese liegen in unserer Art und Weise zu wirtschaften. Genau da liegt der Knackpunkt.
Anders als der Klimaschutz lässt sich der Naturschutz nicht so nahtlos in das dominierende technokratische Narrativ einbinden: Klimaschutz eignet sich (oberflächlich) für einen verengten, auf rein technologische Lösungen fokussierten Diskurs, der den allgemeinen Status quo nicht grundsätzlich in Frage stellt. Solange sich die Debatte hauptsächlich um Batteriesysteme und Antriebsmotoren dreht, stellt niemand die wirklich relevanten Fragen. Es bleibt alles wie es ist, nur eben „CO2-neutral“.
Beim Naturschutz geht das nicht, zumindest nicht so einfach. Ist ein Entkoppeln des Wirtschaftswachstums von Emissionen schon fragwürdig, so ist es vom Naturverbrauch unmöglich. Wirtschaftswachstum ist im Grunde ein Synonym für Naturzerstörung, Konsum gleich Vermüllung. Jedes noch so sinnlose Plastikgadget basiert auf natürlichen Ressourcen. Ökosysteme sind zudem ortsgebunden, es geht immer um konkrete Gebiete und darum, wer diese Gebiete wie nutzen darf, oder eben nicht. Diese Diskussion lässt sich nicht „technologisch“ lösen, es geht immer um handfeste Interessen, hinter denen Einstellungen, Werte und gesellschaftlich normierte Anreizsysteme, Verhaltensweisen und Glaubenssätze stehen.
Wenn wir die Natur schützen und unsere Lebensgrundlagen erhalten wollen, müssen wir eine zentrale Frage beantworten: Was ist wirklich wichtig? Was wäre, wenn wir in Wirklichkeit gar nicht alles haben könnten, wenn wir uns entscheiden müssten? Sauberes Trinkwasser für die Menschen oder Wasserressourcen für die Autoindustrie? Wald oder Gewerbegebiet? Pestizide oder Vögel? Autobahnen oder fruchtbarer Boden? Industriefleisch oder Regenwälder? Qualität oder Quantität? Burnout im Bullshit-Job oder Zeit und Wertschätzung für sich selbst, Freundschaften, Familie und die Natur?
Erst mit einer expliziten Klärung unserer Prioritäten haben wir die Grundlage für eine konstruktive Auseinandersetzung über echte Lösungen und Kompromisse geschaffen. Welche Bedeutung, welcher Wert haben eine intakte Natur und ein stabiles Klima für uns? Darüber sollten wir sprechen statt uns in einer verengten Technologiediskussion zu verlaufen, auch wenn das bedeutet, bestehende Machtverhältnisse und Privilegien in Frage zu stellen.
Davon sind wir allerdings noch weit entfernt. Was wir trotz der schönen Rhetorik zum Biodiversitätstag tatsächlich erleben, ist eine politisch und wirtschaftlich forcierte, systematische Transformation von allem Lebendigen in „bankable assets“, von der ein paar wenige enorm profitieren. Nichts ist sicher vor dem Hunger nach immer mehr, weder die verletzliche Tiefsee, noch die teils nicht kontaktierten indigenen Völker Indiens (oder Indonesiens) oder die Menschen, die in sklavenähnlichen Verhältnissen in der Fleisch- und Fischindustrie schuften müssen.
Wir könnten das ändern. Wir brauchen nicht zu warten, bis uns der ökologische Kollaps zum Umdenken zwingt. Wir haben individuell und als Gesellschaft jederzeit die Wahl, das eigene Hamsterrad anzuhalten und die alten, ausgedienten Mantras des „das war schon immer so“ und „so funktioniert halt die Welt“ oder „es geht einfach nicht anders“ wenigstens einmal genauer anzuschauen: Stimmt das überhaupt noch? Jetzt ist die Zeit, innezuhalten und den Mut zu haben, die Dinge grundlegend in Frage zu stellen und neu zu denken, herauszugehen aus der eigenen Komfortzone und mit Humor, Kreativität und Abenteuerlust etwas Besseres zu gestalten.