Nachhaltiges Wirtschaften mit phiyond: Wichtige Meilensteine
News vom 09. Okt. 2024
Roundtable-Diskussion unter adelphi-Expert*innen
Auf dem UN-Gipfel zur biologischen Vielfalt (CBD COP 15) in Montreal hoffen Staaten und Naturschützer*innen auf einen Durchbruch, der den Verlust der biologischen Vielfalt noch aufhalten kann. Zusammen mit dem Klimawandel stellt er die größte Krise dar, mit der die Menschheit je konfrontiert war.
Es handelt sich um ein Querschnittsthema, das jeden Aspekt unseres Lebens berührt. Was muss auf dem Gipfel in Montreal geschehen, damit die Stabilisierung allen Lebens auf der Welt gelingt? Ein Roundtable-Gespräch unter adelphi-Expert*innen.
Hauptziel der COP15 ist die Einigung auf einen neuen globalen Rahmen für die biologische Vielfalt für die Zeit nach 2020, verbunden mit dem Ziel, bis 2050 zu einem Leben im Einklang mit der Natur zurückzukehren. Einige Stimmen erhoffen sich sogar einen "Pariser Moment" in Montreal. Was brauchen wir, um dies zu erreichen?
Katrina Marsden, Senior Managerin für Biodiversität: Es gibt noch viele offene Fragen bezüglich des übergreifenden Rahmens, den die Staaten auf der Konferenz für die Zeit nach 2020 setzen wollen. Das Hauptaugenmerk der Verhandlungen wird auf Zahlen liegen, wie zum Beispiel dem Prozentsatz der weltweiten Meeres- und Landflächen, die zu streng geschützten Gebieten erklärt werden sollen. Ein Aspekt hat seit der Festlegung des aktuellen Rahmens durch die Staaten in Nagoya im Jahr 2010 stärker an Einsicht gewonnen: Es geht nicht nur darum, das zu erhalten, was übriggeblieben ist, sondern auch darum, das wiederherzustellen, was wir zerstört haben. Dies ist besonders wichtig im Zusammenhang mit dem Beitrag der Natur zu den Klimazielen, zum Beispiel durch Ökosystemleistungen. Die Wiederherstellung von Ökosystemen wie Feuchtgebieten, die Treibhausgase binden, ist eine sogenannte naturbasierte Lösung für den Klimawandel. Die ungehinderte Zerstörung dieser Ökosysteme verschärft dagegen den Klimawandel, was wiederum ihre Zerstörung beschleunigt.
Über die Wiederherstellung von Ökosystemen zu sprechen ist auch im Kontext von fairen Beiträgen wichtig. In Europa zum Beispiel haben wir bereits viel biologische Vielfalt zerstört. Deshalb legt die EU-Biodiversitätsstrategie auf EU-Ebene einen starken Schwerpunkt auf die Wiederherstellung. Im Rahmen unserer Unterstützung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft haben wir die Diskussionen im Vorfeld des Vorschlags für das neue Wiederherstellungsgesetz analysiert, das derzeit die EU-Institutionen durchläuft und voraussichtlich Ende 2023, Anfang 2024 verabschiedet wird. Dieses Gesetz hat das Potenzial, ein neues Paradigma für den Naturschutz zu schaffen und verschiedene ökologische Herausforderungen zusammenzuführen. Wenn sich dieses Verständnis für die Bedeutung der Wiederherstellung auch im globalen Biodiversitäts-Rahmenwerk für die Zeit nach 2020 widerspiegelt, könnten wir in Montreal tatsächlich einem „Pariser Moment“ nahekommen.
Wir haben bei UN-Klimakonferenzen gesehen, dass die Finanzierung oft ein Dreh- und Angelpunkt ist. Gilt das auch für Biodiversitätskonferenzen?
Christiane Röttger, Senior Managerin Biodiversität: Die gerechte Verteilung der Ressourcen wird ein Hauptthema der Verhandlungen sein. Die biodiversitätsreichen Länder des globalen Südens brauchen deutlich mehr finanzielle Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Die globale Finanzierungslücke im Bereich der biologischen Vielfalt wird bis 2030 auf 598 bis 824 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt – was bedeutet, dass die Investitionen beispielsweise in naturbasierte Lösungen um das Drei- bis Vierfache steigen müssen. Doch ohne die strukturellen Fehlanreize, die die Zerstörung von Ökosystemen vorantreiben, zu beseitigen, wird die Finanzierungslücke wahrscheinlich nur noch größer werden. Dies ist ein entscheidender Punkt der Diskussion in Montreal.
Doch selbst in den reichen Ländern fehlt es an Finanzmitteln für den Schutz und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt. In Europa und Deutschland werden die meisten Mittel für die biologische Vielfalt durch Projektfinanzierung bereitgestellt. Wir haben vor kurzem das deutsche Bundesprogramm Biologische Vielfalt evaluiert und festgestellt, dass eine solche gezielte projektbezogene Finanzierung zwar erhebliche positive Auswirkungen vor Ort haben kann, aber zwangsläufig räumlich und zeitlich begrenzt und im Vergleich zu den großen strukturellen Bedrohungen, die zum Beispiel von Subventionen für die Landwirtschaft oder fossile Brennstoffe ausgehen, gering ist. Wir müssen daher schädliche Investitionen umlenken und die strukturellen und institutionellen Kapazitäten für den Naturschutz systematisch stärken, um langfristig wirksame Maßnahmen und eine strategischere Umsetzung der groß angelegten Naturwiederherstellung zu erreichen. Dies erhoffen wir uns von dem neuen Programm der Bundesregierung für naturnahe Klimalösungen sowie von den Rahmenbedingungen für die Zeit nach 2020 im Allgemeinen.
Der vereinbarte internationale Rahmen ist für die Ausrichtung weiterer Maßnahmen von entscheidender Bedeutung, aber das Engagement der Betroffenen ist für den Erfolg unerlässlich. Wie können wir die Wirtschaft besser einbinden?
Svenja Stropahl, Senior Managerin: Um Unternehmen für die biologische Vielfalt zu gewinnen, sind vier Ansätze entscheidend: Erstens müssen wir besser verstehen und kommunizieren, wo sich die Biodiversitäts-„Hotspots“ der Unternehmen entlang ihrer Wertschöpfungsketten befinden. Dies ist wichtig, um ihre Zielsetzung und die entsprechenden Maßnahmen dorthin zu lenken, wo ihre Auswirkungen am größten sind. Wir wissen aus unseren Untersuchungen für den „Atlas der Umweltauswirkungen“, dass die „Hotspots“ in vielen Branchen in der Lieferkette zu finden sind. Dies muss stärker in den Mittelpunkt gerückt werden.
Zweitens brauchen wir eine Neudefinition der Rechnungslegungsvorschriften und Bilanzen, damit sie die Auswirkungen und wahren Kosten der Geschäftstätigkeit internalisieren und ausweisen. Bislang nimmt unser Wirtschaftssystem die Ressourcen und Leistungen funktionierender Ökosysteme und der biologischen Vielfalt als selbstverständlich hin. Dies hat zu deren Verkümmerung geführt. Es ist höchste Zeit, dass wir dies als Kern des Problems angehen. Verpflichtende Naturverträglichkeitsprüfungen und Berichterstattung sind ein erster Schritt. Ein Preissystem, das sich an den Preissystemen für Treibhausgase orientiert, die es in vielen Ländern bereits gibt, wäre ein weiterer wichtiger Schritt.
Drittens müssen wir Budgets festlegen, Obergrenzen einführen und Quoten für die Gewinnung und den Verbrauch natürlicher Ressourcen zuweisen. Während die Regulierung in dieser Hinsicht hinterherhinkt, hat das Science Based Targets Network (SBTN), ein Mitglied des NGO-Netzwerks 'Global Commons Alliance', die Initiative ergriffen und damit begonnen, wissenschaftlich fundierte Naturschutzziele für Unternehmen zu formulieren. Diese zeigen Unternehmen, wie sie die Natur auf wissenschaftlicher Basis schützen und wiederherstellen können. Die derzeitigen Trends bei der obligatorischen Berichterstattung deuten darauf hin, dass die Unternehmen in Zukunft vermehrt solche Rahmen festlegen und befolgen müssen.
Und viertens müssen wir das Ausmaß des Biodiversitätsverlustes in eine Sprache für die Geschäftswelt übersetzen, die Risiken und Erfolgschancen adressiert. Natur und biologische Vielfalt schaffen einen enormen Wert. Laut dem Bericht des Weltwirtschaftsforums „Nature Risk Rising“ (2020) sind etwa 50 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts direkt von einem funktionierenden, gesunden Ökosystem abhängig und eng damit verbunden. Und es ergeben sich Geschäftsmöglichkeiten, wenn Unternehmen beginnen, Lösungen für die Krise anzubieten. Naturbasierte Lösungen werden in den Bereichen Wiederherstellung, Anpassung und Schutz sehr gefragt sein. Darüber hinaus können Unternehmen, die sich mit Alternativen zu naturzerstörenden Produkten und Dienstleistungen positionieren, einen Wettbewerbsvorteil erlangen, wenn sie die richtigen rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen und die Verbraucher*innen immer wachsamer werden.
Und was ist mit den Unternehmen, die durch biologische Vielfalt Geld verdienen, anstatt durch ihren Schwund Geld zu verlieren?
Julia Rohe-Frydrych, Senior Managerin und Co-Leiterin Green Entrepreneurship: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in den Diskussionen über biologische Vielfalt und Wirtschaft, da diese in zwei Hauptaspekten immer noch sehr einseitig sind: In erster Linie denken die meisten Menschen, dass es vor allem auf die großen Unternehmen ankommt. Und so liegt der Schwerpunkt auf internationalen Konzernen, die grüner werden müssen. Aber Konzerne spielen nur eine Rolle. Obwohl kleine und mittlere Unternehmen (KMU) das wirtschaftliche Rückgrat praktisch aller Volkswirtschaften der Welt sind und insbesondere in aufstrebenden Märkten eine entscheidende Rolle spielen, wird ihnen immer noch sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt, wenn es um ihre Auswirkungen auf natürliche Ökosysteme geht. Ihre Tätigkeit kann die biologische Vielfalt ernsthaft schädigen, da sie oft weniger reguliert sind und es ihnen an den notwendigen Mitteln für ein nachhaltiges Management ihrer Tätigkeiten fehlt.
Gleichzeitig haben KMU ein großes Potenzial, zur Erhaltung der biologischen Vielfalt beizutragen, da sie lokal verankert sind. Ihr Management neigt daher zu einem stärkeren Verantwortungsbewusstsein für die Menschen und die natürlichen Ökosysteme um sie herum, da sie auch die Auswirkungen der Zerstörung von Natur und Lebensräumen unmittelbarer spüren.
Dies führt mich zum zweiten Aspekt, bei dem ein Paradigmenwechsel erforderlich ist. Denn es gibt das vorherrschende Argument, dass biodiversitätsfreundliche Geschäftsaktivitäten kostspielig und daher weniger profitabel sind. Dies mag für ein Unternehmen mit einem konventionellen Geschäftsmodell zutreffen, das sich um eine ökologische Betriebsführung bemüht. Aber es gibt auch eine wachsende Zahl von Unternehmen, die profitable Geschäftsmodelle verfolgen, die von vornherein positiv für die biologische Vielfalt sind.
In mehr als 15 Jahren Arbeit mit grünen KMUs in Afrika, Asien und Lateinamerika hat das adelphi Green Entrepreneurship Team eine große Vielfalt an innovativen Geschäftsmodellen verfolgt, die den Erhalt, das Management oder die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt als Kernbestandteil ihres Geschäfts integrieren. Diese Unternehmen bieten marktorientierte Lösungen für drängende lokale Biodiversitätsprobleme, indem sie zum Beispiel die Abholzung, die Übernutzung von Lebensräumen oder die Umweltverschmutzung bekämpfen.
Die meisten dieser Unternehmen sind jedoch immer noch in sehr kleinem Maßstab tätig und verfügen nicht über die Möglichkeiten und den Zugang zu Ressourcen, um ihre positiven Auswirkungen auf die biologische Vielfalt auszubauen und zu vergrößern. Kleine Unternehmen werden von Finanzinstituten nach wie vor deutlich unterversorgt, wie unsere jüngsten Berichte „Filling the Missing Middle Financing Gap“ zeigen, in denen die Ökosysteme für die Finanzierung der biologischen Vielfalt in Malawi und Sambia untersucht wurden. Diese Finanzierungslücke gilt umso mehr für grüne Unternehmen, da sie von Finanzinstituten oft als risikoreiche Unternehmungen angesehen werden. Andere Naturschutzfonds oder Finanzierungsinstrumente für die biologische Vielfalt haben sehr restriktive Kriterien und zielen in der Regel auf größere Beträge ab, die für kleinere naturfreundliche Unternehmen nicht zugänglich sind. Infolgedessen haben nur wenige biodiversitätsfördernde KMU Zugang zu Investitionskapital. Diese vorherrschende Finanzierungslücke muss geschlossen werden, damit Unternehmen, die sich für die biologische Vielfalt einsetzen, wachsen und ihre Wirkung entfalten können.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass „klein“ das neue „groß“ sein sollte, wenn die internationale Gemeinschaft in Montreal über Wirtschaft und Biodiversität spricht.
Wie können wir als Einzelne etwas tun? Sind wir nicht völlig machtlos gegenüber größeren Akteuren?
Jan Christian Polanía Giese, Senior Manager: Eine Änderung unseres Verbraucherverhaltens ist für den Schutz der biologischen Vielfalt von entscheidender Bedeutung – sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene. Um das Bewusstsein für dieses Thema zu schärfen, bedarf es gut aufbereiteter Informationsmaterialien und Kommunikationsaktivitäten, die sich an eine Vielzahl von spezifischen Zielgruppen richten. Um Multiplikator*innen bei ihren Kommunikationsaktivitäten für naturverträglichen Konsum zu unterstützen, hat das adelphi-Team für nachhaltigen Konsum das One Planet Network von UNEP bei der Entwicklung eines neuen Kommunikations-Toolkits unterstützt. Dieses zeigt auf, welche Veränderungen wir in unseren täglichen Entscheidungen vornehmen können, um schädliche Auswirkungen auf die biologische Vielfalt zu reduzieren. Zum Beispiel die Entscheidung, was wir essen, was wir anziehen und wohin wir reisen. Indem wir zum Beispiel Baumwollkleidung wiederverwenden und reparieren, anstatt etwas Neues zu kaufen, oder indem wir auf Umweltzeichen achten, können wir dazu beitragen, die Belastungen durch die intensive Baumwollproduktion und die Verfahren zur Herstellung von Kleidung zu verringern. In Montreal werde ich dieses Toolkit vorstellen und Möglichkeiten zur Sensibilisierung für die verheerenden Auswirkungen konventioneller Konsummuster auf die Natur erörtern.