Die fünfte Verhandlungsrunde zum globalen Plastikabkommen: Chancen und Hindernisse
News vom 19. Nov. 2024
Insight von Daniel Weiß, Bibiana García
Menschenrechte gehen alle an – auch die Wirtschaft. Die Covid-19-Pandemie wirft zudem ein Schlaglicht auf die Notwendigkeit eines systematischen Risikomanagements, das Gesundheits- und Arbeitsschutz gewährleistet und die Infektionsgefahr beherrschbar macht. Deshalb steigen die Anforderungen an deutsche Unternehmen, Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte und die Einhaltung von Umweltstandards auch in ihren Lieferketten zu übernehmen. Die Zusammenarbeit auf Branchenebene bietet dafür Potenziale. Welche menschenrechtlichen Risiken die deutsche Wirtschaft beachten muss, was sie bereits tut, um Risiken zu adressieren, und wo Herausforderungen liegen, hat eine aktuelle Studie analysiert.
Deutschland ist weltweit vernetzt. Die deutsche Wirtschaft ist stark in internationale Handelsstrukturen und Kapitaltransaktionen eingebunden, ebenso wie in die damit einhergehenden internationalisierten Produktionsprozesse und Absatzmärkte. Umso wichtiger ist es, dass deutsche Unternehmen einen Beitrag dazu leisten, dass in globalen Wertschöpfungsketten Menschenrechte geachtet und die soziale und ökologische Nachhaltigkeit gestärkt werden.
Dass Unternehmen Verantwortung dafür tragen, dass bei ihren Geschäften keine Menschenrechte verletzt werden, haben die Vereinten Nationen 2011 in dem Beschluss der „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ festgehalten. Zur Umsetzung dieser Leitprinzipien hat die Bundesregierung 2016 einen „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ (NAP) formuliert. Darin fordert sie Unternehmen auf, einen Prozess der unternehmerischen Sorgfalt zur Achtung der Menschenrechte einzuführen.
Konkret steht die deutsche Wirtschaft vor mehreren Herausforderungen: Sie muss Transparenz in Lieferketten schaffen, menschenrechtliche Risiken priorisieren, geeignete Schritte einleiten, um Risiken zu minimieren, und in den Lieferländern aktiv gegen Missstände vorgehen. Denn auch wenn Unternehmen nicht auf alle Stufen ihrer Lieferketten selbst unmittelbaren Einfluss haben, so haben sie dennoch die Möglichkeit, durch Maßnahmen an eigenen Standorten und in der Lieferkette dafür zu sorgen, dass menschenrechtliche Risiken entlang ihrer Wertschöpfungsketten erkannt und angegangen werden. Das gilt sowohl für multinationale Konzerne als auch für mittelständische Unternehmen.
Allerdings ist es für Unternehmen erfahrungsgemäß nicht leicht, eine nachhaltige Lieferkette zu gestalten. Daher sieht der NAP vor, Unternehmen zu unterstützen. Eine Reihe von Maßnahmen sollen Anhaltspunkte liefern, wie Unternehmen ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht umsetzen und ausbauen können. Zu diesem Zweck wurde aktuell die Studie „Die Achtung von Menschenrechten entlang globaler Wertschöpfungsketten – Risiken und Chancen für Branchen der deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht.
Diese Untersuchung, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in Auftrag gegeben und von adelphi (Federführung) in Zusammenarbeit mit der Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (EY) durchgeführt wurde, will der Bundesregierung eine Grundlage für die Entscheidung liefern, welche Branchen im Rahmen von Branchendialogen unterstützt werden sollen. Die Zusammenarbeit auf Branchenebene wiederum soll einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Unternehmen Ideen und Kompetenzen bündeln. So können sie sich gemeinsam für die Achtung der Menschenrechte einsetzen und die an sie formulierten Erwartungen erfüllen.
Die Studie analysiert rund 100 Branchen der deutschen Wirtschaft aus menschenrechtlicher Perspektive. Zunächst ermittelt sie, welche menschenrechtlichen Risiken entlang der Wertschöpfungsketten auftreten können. Darauf basierend grenzt sie ihren Fokus schrittweise auf elf ausgewählte Branchen (im Rahmen der Studie werden diese „Fokusbranchen“ genannt) ein. Diese Fokusbranchen haben ähnliche menschenrechtliche und strukturelle Merkmale. Beispielsweise weisen sie vergleichsweise viele menschenrechtlichen Risiken mit einem erheblichen Bezug zu fundamentalen Rechtsgütern auf und sind international stark verflochten. Durch Interviews und Hintergrundgespräche mit Branchenvertreterinnen und -vertretern, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Akteuren wurden die Fokusbranchen dann näher betrachtet, um zu erfassen, welche nationalen und internationalen Branchenaktivitäten zur Ausübung menschenrechtlicher Sorgfalt bereits bestehen und welche möglichen Anknüpfungspunkte es für weitere Branchenaktivitäten gibt.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass in vielen der näher betrachteten Branchen menschenrechtliche Risiken in den vorgelagerten Stufen der Wertschöpfung auftreten. Beispielsweise sind rohstoffintensive Fokusbranchen international stark verflochten und beziehen Rohstoffe teilweise aus Ländern, in denen rechtsstaatliche Grundsätze nicht oder nur ungenügend durchgesetzt werden und in denen Rohstoffe unter prekären Bedingungen abgebaut werden. Dadurch kommt es zu Menschenrechtsverletzungen, indem etwa die Gesundheit von Beschäftigten und Anwohnenden beeinträchtigt wird, Abbaugebiete durch Landraub erweitert werden oder indigene Völker gewaltsam unterdrückt werden. Bei der Betrachtung von Rohstoffen aus menschenrechtlicher Perspektive wird außerdem deutlich, dass diese eines besonderen Augenmerks bedürfen, da sie ab einer bestimmten Stufe der Wertschöpfungskette häufig nicht explizit einer Branche zugeordnet werden können, sondern ein Querschnittsthema bilden.
Es bestehen nicht nur bei der Rohstoffgewinnung menschenrechtliche Risiken. Unternehmen sind auch gefordert, den Blick auf ihre eigenen internationalen Produktionsstandorte zu richten und dort ebenfalls Risikoanalysen durchzuführen. Menschenrechtliche Risiken in dieser Stufe der Wertschöpfung reichen von prekären und teilweise gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen für Beschäftigte über Ausbeutung bis hin zu Menschenhandel. Die Studie zeigt zudem, dass solche Risiken kein ausschließliches Thema internationaler Wertschöpfungsketten sind, sondern dass innerhalb von Deutschland in bestimmten Branchen ebenfalls soziale Risiken auftreten können.
In einigen Branchen zeigt sich darüber hinaus, dass auch in der nachgelagerten Wertschöpfungskette, also beim Export von Gütern, menschenrechtliche Risiken entstehen können. So kann der Export von Produkten deutscher Herstellung dazu führen, dass diese bei Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden, beispielsweise, wenn bürgerliche und politische Rechte eingeschränkt werden.
In Anbetracht dieser Ergebnisse hat das Projektteam mögliche Anknüpfungspunkte für Branchendialoge und weitere Aktivitäten für die elf Fokusbranchen erarbeitet sowie branchenübergreifende Empfehlungen formuliert. Diese reichen von der vertieften Einbeziehung von Zulieferern und zivilgesellschaftlichen Akteuren über die stärkere Verbindlichkeit von Initiativen bis hin zu einer stärkeren Berücksichtigung des Themas menschenrechtliche Sorgfalt in laufenden (nationalen, europäischen und internationalen) Politikprozessen durch die Bundesregierung.
Der Anspruch, Risiken entlang der gesamten Lieferkette zu verstehen und zu „managen“, stellt gerade kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) vor besondere Herausforderungen: KMUs haben häufig nicht die gleiche Hebelwirkung wie Großunternehmen auf ihre Lieferanten und müssen deshalb anders mit ihnen kommunizieren, um das Thema des nachhaltigen Lieferkettenmanagements anzusprechen und umzusetzen. Diese und weitere Herausforderungen werden im „KMU Kompass“ adressiert – ein speziell für KMUs entwickeltes Online-Tool für das nachhaltige Lieferkettenmanagement. adelphi hat den KMU Kompass im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) entwickelt, um KMUs dabei zu helfen, schrittweise in das nachhaltige Lieferkettenmanagement einzusteigen. Der KMU Kompass orientiert sich dabei an den fünf Kernelementen der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht, die im NAP verankert sind, und identifiziert fünf zentrale Prozessschritte für das nachhaltige Lieferkettenmanagement: (1) Strategie entwickeln; (2) Risikoanalyse durchführen; (3) Maßnahmen ergreifen; (4) Messen und berichten; (5) Beschwerden managen.
Aktuell ist adelphi Teil eines von EY geführten Konsortiums, das vom Auswärtigen Amt beauftragt wurde, das im NAP vorgesehene Monitoring über die Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht durchzuführen. Der NAP gibt das Ziel vor, dass im Jahr 2020 mindestens 50 Prozent aller Unternehmen in Deutschland mit über 500 Beschäftigten die Kernelemente menschenrechtlicher Sorgfalt in ihre Unternehmensprozesse integriert haben. Die Ergebnisse des Monitorings werden ab dem Jahr 2020 eine Grundlage dafür bilden, dass sich die Bundesregierung mit weiteren Schritten im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte befasst. Diese Schritte können gesetzliche Maßnahmen beinhalten.
adelphi ist seit mehreren Jahren aktiv darin, das Thema „nachhaltiges Lieferkettenmanagement“ in Unternehmen voranzutreiben. Im Fokus steht, wie Unternehmen praxisnah und zielgerichtet dabei unterstützt werden können, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung auch in der Lieferkette nachzukommen.
adelphi hat gemeinsam mit Systain Consulting einen Umweltatlas Lieferketten erstellt, der für ausgewählte Branchen mit hohen Umweltwirkungen aufzeigt, an welchen Stellen und in welcher Weltregion der Lieferketten negative Auswirkungen auftreten. So werden „Hot-Spots“ für die jeweilige Branche sichtbar gemacht.
Der Praxisleitfaden „Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement“ richtet sich besonders an mittelständische Unternehmen, die beim nachhaltigen Lieferkettenmanagement erste Schritte gehen möchten.
Gemeinsam mit mehreren kleineren und mittleren Unternehmen hat adelphi in Zusammenarbeit mit der Sustainable AG mehrere Arbeitshilfen zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement entwickelt. Im Sinne eines „Toolification-Ansatzes“ können Unternehmensvertreterinnen und -vertreter diese Arbeitshilfen (tools) nutzen, um direkt Nachhaltigkeitsthemen in der Lieferkette zu recherchieren, analysieren, bewerten und darauf basierend zu entscheiden, welche Maßnahmen sie umsetzen.
Ansprechpartner: weissadelphi [dot] de (Daniel Weiß) und garciaadelphi [dot] de (Bibiana García)