In vielen Konfliktgebieten weltweit verschärft der Klimawandel den Wettbewerb um knappe natürliche Ressourcen und fordert ein Umdenken in der Sicherheitspolitik.
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Wenn bewaffnete Konflikte ausbrechen, werden Klima- und Umweltveränderungen selten als wesentliche Ursache für die Auseinandersetzungen herangezogen.
Während der jüngsten schrecklichen Eskalation der Gewalt zwischen Israel und Palästina lag die Aufmerksamkeit – völlig zu Recht – auf den direkten politischen Ursachen des Konflikts.
Doch wie ein neuer Bericht hervorhebt, gehört der Nahe Osten zu den Regionen der Welt, in denen der Klimawandel Frieden und Sicherheit zunehmend bedroht. Dadurch, dass der Klimawandel ohnehin knappe natürliche Ressourcen in der Region weiter unter Druck setzt, verringert sich die bereits geringe sozial-ökologische Widerstandsfähigkeit der Region. So nehmen bestehende Konflikte über die Verteilung von Ressourcen – ebenso wie soziale und politische Spannungen – zu. Die Lösung eines der festgefahrensten Konflikte der Welt wird dadurch zusätzlich erschwert.
Gefahren durch den Klimawandel sind kein Zukunftsproblem. Sie sind bereits heute real und werden sich aller Voraussicht nach weiter zuspitzen. Bis 2050 wird es durch den Klimawandel in Subsahara-Afrika Schätzungen zufolge bis zu 86 Millionen Binnenvertriebene geben, von denen die meisten an bereits ressourcenknappe Orte ziehen werden. Ein verschärfter Wettbewerb um Ressourcen, von denen einige durch den Klimawandel weiter schwinden werden, birgt die Gefahr, dass Konflikte entstehen und das soziale Gleichgewicht innerhalb und zwischen Gemeinschaften untergraben wird.
Doch die Antwort kann nicht einfach darin bestehen, schwere Geschütze aufzufahren. Diese harten Probleme erfordern weiche Lösungen, die die klimabezogenen Grundursachen des Konflikts nicht verkennen: den ungleichen Zugang zu natürlichen Ressourcen wie etwa zu Land oder ineffektive Regierungsführung. Werden diese klimabedingten Sicherheitsrisiken nicht berücksichtigt, kann sich die Konfliktdynamik weiter zuspitzen.
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In der Tschadsee-Region der Sahelzone zum Beispiel versuchten internationale Streitkräfte, die dort Aufständische bekämpfen sollten, Mitglieder von Boko Haram und anderer bewaffneter Gruppen zu vertreiben, indem sie „No-Go“-Zonen mit Straßensperren einrichteten, Brandrodungen und Abholzungen vornahmen. Diese klimablinden Ansätze untergruben die lokale Widerstandsfähigkeit gegenüber wechselnden Niederschlagsmustern, brachten lokale Bevölkerungsgruppen gegen den Staat auf und trieben sie damit in die Arme eben der bewaffneten Gruppen, die mit den besagten Maßnahmen bekämpft werden sollten.
Lösungen müssen stattdessen auf Entwicklung, Diplomatie und Verteidigung setzen und an Klimaschutzstrategien und Maßnahmen zu Anpassung an den Klimawandel gekoppelt sein. Klimapolitik muss berücksichtigen, dass die Anpassung an die Klimafolgen und die Erfüllung der Klimaverpflichtungen in Konfliktzonen am schwersten zu bewältigen sind.
Das Vereinigte Königreich, Gastgeber der Cop26, ist gut aufgestellt, um eine konfliktsensible Sichtweise in grundlegende Bereiche der Klimaverhandlungen einzubringen, denn erst kürzlich wurde die Expertise im Bereich Klimasicherheit des Außen-, Commonwealth- und Entwicklungsministeriums ausgebaut.
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Für alle Parteien muss der erste Schritt sein, die Bedingungen vor Ort besser zu verstehen und zu beurteilen. Globales Handeln bedarf lokaler Informationen. Lokale, nationale und internationale Entscheidungstragende in allen Regierungsbereichen benötigen Zugang zu evidenzbasierten Analysen klimabezogener Sicherheitsrisiken.
Deshalb leitet adelphi research gemeinsam mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung eine neue Initiative, die aktuelle Daten zum Klimawandel mit der Analyse gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen verknüpft. Unsere Mission ist es, nachhaltige, risikoarme Optionen zur Gewaltprävention zu identifizieren und Anpassung und Resilienz zu fördern. Wir wollen herausfinden, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden können, um klimabedingte Sicherheitsrisiken zu verhindern bzw. zu reduzieren und vor allem keine Schäden anzurichten.
Im Nahen Osten könnte beispielsweise ein gemeinsamer Ansatz zur Bekämpfung der Wasserknappheit gefördert werden – und damit gleichzeitig eine dringend benötigte Ausgangsbasis für die Bewältigung der anderen, stärker festgefahrenen Aspekte des Konfliktes geschaffen. In der Sahelzone ist eine Kurskorrektur erforderlich. Um die Auswirkungen der Klimaschwankungen auf den Konflikt zu berücksichtigen, müssen andere Taktiken gegen bewaffnete Oppositionsgruppen eingesetzt werden. Für die Gemeinschaft der Klimaakteure bedeutet dies: Um den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Menschen zu ermöglichen, eine wirklich nachhaltige Widerstandsfähigkeit aufzubauen, müssen Bewertungen der klimabedingten Sicherheitsrisiken im Mittelpunkt der Initiativen stehen.
Dieser Beitrag wurde als erstes auf Climate Home News am 7.6. 2021 veröffentlicht.