Die Flutkatastrophe in Westdeutschland hat es drastisch verdeutlicht: Die Klimakrise ist längst bei uns angekommen. Erst Hitzewelle und Dürre, dann Starkregen und Hochwasser – Wetterextreme, die zeigen, dass wir handeln müssen. Doch die Politik hinkt den Entwicklungen stets hinterher. Viel zu lange wurde die Rolle der Klimakrise bei Extremwetterereignissen ausgeblendet und zu wenig für den Klimaschutz getan. Mit fatalen Folgen: Selbst mit radikalen Einsparungen ist die Klimakrise nicht mehr abwendbar. Denn durch die Trägheit der Atmosphäre tragen unsere Emissionen von heute erst in 20 bis 30 Jahren zur Klimakrise bei.
Der letzte IPCC-Bericht warnt unmissverständlich: Würden alle Staaten die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens umsetzen und bei der Erderwärmung auf einen Pfad von „nur“ 1,5 bis 2 °C umschwenken, so werden wir trotzdem mit spürbaren Klimaveränderungen leben müssen – auch in Deutschland. Es braucht also mehr als nur Maßnahmen zum Klimaschutz: Wir müssen lernen, uns an die Folgen des Klimawandels anzupassen.
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Strategien und Wissen sind da, doch es hapert an der Umsetzung
Was in der aktuellen Debatte selten erwähnt wird: Bereits 2008 verabschiedete der Bund eine Strategie zur Anpassung an die Klimakrise. Über die Jahre hinweg wurden hier ressortübergreifende Aktionspläne geschmiedet und Fortschrittsberichte vorgelegt. Viel Geld floss in die Forschung: So hat der
Bund die Risiken des Klimawandels untersucht, Kompetenzzentren und Förderprogramme geschaffen und eine Vielzahl von Informationssystemen und Tools zum Thema veröffentlicht. Vor allem in den Städten wurden diese Impulse aufgegriffen: Etwa 68 Prozent aller deutschen Großstädte haben Strategien zur Anpassung entwickelt, 30 Prozent verfügen über eine Starkregengefahrenkarte – viele davon übrigens in Nordrhein-Westfalen (siehe Karte).
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Das Wissen ist da, doch warum wird nicht entsprechend gehandelt?
Warum darf in Überschwemmungsgebieten noch immer mit Ausnahmegenehmigung gebaut werden? Warum nimmt die urbane Versiegelung weiterhin zu? Warum bleibt die Anzahl der Hitzetoten dringlich hoch? Zwar werden in vielen Kommunen Pilotprojekte zum Umgang mit Hitze oder Starkregen vorangebracht, doch viel zu oft bleibt das Thema trotz der Bemühungen engagierter Akteure in der Nische stecken. Und noch immer dürfen Investorinnen und Investoren Frischluftschneisen verbauen – das können auch kommunale Klimaanpassungsmanager mit einer Vulnerabilitätsanalyse in der Hand nicht verhindern.
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KLIMAANPASSUNG
Falsche politische Prioritäten und mangelnde gesetzliche Handhabe
Was sind die Gründe dafür? Oft geht es bei der Klimaanpassung um die Nutzung von Flächen. Diese werden gebraucht zur Versickerung und zum Wasserrückhalt, aber auch um Kaltluft entstehen zu lassen, die als Frischluft das Stadtklima verbessern. Hier ist die Stadt- und Regionalplanung gefragt. Doch was, wenn die Politik falsche Prioritäten setzt und lieber den Ausbau von Siedlungs- und Verkehrsflächen vorantreibt? Die Bodenversiegelung nimmt so immer mehr zu, was die negativen Folgen der Klimakrise weiter verstärkt. Eine Kurskorrektur ist daher mehr als überfällig.
Dieser falsche Fokus spiegelt sich auch in der mangelnden Verbindlichkeit bestehender Regelungen wider. So sieht beispielsweise das überarbeitete Baugesetzbuch vor, dass Maßnahmen zur Klimaanpassung in Bebauungsplänen berücksichtigt werden müssen – allerdings nur als eine von vielen Abwägungsgrundlagen und ohne jeglichen Vorrang. In der Praxis bleibt das Potenzial dieses Instruments daher viel zu oft unausgeschöpft. Politischer Wille sieht anders aus.
Im Land der Regeln fehlen verbindliche Vorgaben
Das gleiche Bild zeigt sich auch bei der Normung, die so vieles in unserem Land regelt – nicht jedoch in Sachen lebensnotwendiger Klimaanpassung: Nur etwa 11 von circa 34.000 DIN-Normen gehen explizit auf die Folgen der Klimakrise ein. Eine Überarbeitung relevanter Normen ist daher dringend erforderlich.
So zwingen beispielsweise die technischen Regelwerke in der Wasserwirtschaft Planerinnen und Planer noch immer dazu, bei Neubauten Regenwasser durch teure Kanäle abzuführen, statt Wasser vor Ort zurückzuhalten. Dies widerspricht dem aktuell so oft gelobtem Schwammstadt-Prinzip, demzufolge Regenwasser dort zwischengespeichert werden soll, wo es fällt. Für die Gestaltung klimaresilienter Städte ist dies entscheidend, da wir nicht nur mit mehr Starkregen, sondern auch mit mehr Trockenheitsphasen rechnen müssen.
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Alte Versäumnisse ausbügeln
Jetzt steht die nächste Bundesregierung in der Pflicht, Versäumnisse aufzuholen und sowohl unsere Gesundheit als auch unsere Infrastruktur vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Klimaanpassung darf kein Nischenthema bleiben. Es muss dringend gehandelt werden, und zwar vor allem, was die Finanzierung, den Umgang mit Zielkonflikten, die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Mechanismen für die Fortschrittskontrolle angeht. Folgende Punkte müssen auf die Agenda:
Die Bundesregierung sollte die Anpassung an die Klimakrise zu einer Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern machen und dies – ähnlich wie beim Küstenschutz – im Grundgesetz im Artikel 91a verankern. Dadurch könnte der Bund die Kommunen finanziell bei der Klimaanpassung unterstützen, unter anderem bei den umfassenden Umbauten, die im Bestand notwendig sind. So müssen etwa Kapazitäten zum Rückhalt von Regenwasser ausgebaut und Rückbaumaßnahmen in besonders gefährdeten Gebieten durchgeführt werden.
Die Bundesregierung sollte die Anpassung an die Klimakrise zu einer Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern machen und dies – ähnlich wie beim Küstenschutz – im Grundgesetz im Artikel 91a verankern. Dadurch könnte der Bund die Kommunen finanziell bei der Klimaanpassung unterstützen, unter anderem bei den umfassenden Umbauten, die im Bestand notwendig sind. So müssen etwa Kapazitäten zum Rückhalt von Regenwasser ausgebaut und Rückbaumaßnahmen in besonders gefährdeten Gebieten durchgeführt werden.
Die Gelder vom Bund sollten auch genutzt werden, um naheliegende Zielkonflikte anzugehen: Denn die Flächenkonkurrenz in unseren Städten wird sich durch die Klimaanpassung weiter verschärfen, selbst wenn mehr multifunktionale Freiflächen entstehen. Deshalb ist es wichtig, die großen Zusammenhänge in den Blick zu nehmen und zum Beispiel für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu sorgen. Damit werden Zuzug und Flächendruck in den Städten verringert.
Das Baugesetzbuch muss überarbeitet werden: In allen Flächennutzungsplänen müssen Maßnahmen und Flächen, die der Klimaanpassung dienen, verpflichtend ausgewiesen werden. Dies ist ein zentraler Schritt, damit diese Belange in der Planung berücksichtigt und regelmäßig diskutiert werden – unabhängig von Pilotprojekten und engagierten „Kümmerern“. Für die Bauleitplanung sollten zudem klare Leitlinien geschaffen werden, wie genau Planerinnen und Planer den Beitrag von Maßnahmen zur Starkregenvorsorge oder zum Mikroklima bei ihren Abwägungen berücksichtigen sollten. Hier fehlt es aktuell an rechtssicheren Argumentationshilfen. Diese sind jedoch dringend vonnöten, gerade wenn man im Bestand etwas bewegen möchte.
Das Deutsche Institut für Normung (DIN) und andere Organisationen, die Normen oder technische Regeln entwickeln, sollten Klimafolgen stärker in ihre Regelungen integrieren und regelmäßig darüber Bericht erstatten. So sollte etwa das Regelwerk für die Wasserwirtschaft den gesamten Wasserkreislauf und die Idee der multifunktionalen Flächennutzung stärker berücksichtigen. Durch die Überarbeitung entsprechender Normen und technischer Regeln steigen auch die Chancen dafür, dass innovative Maßnahmen nicht nur im Rahmen einzelner Pilotprojekte umgesetzt werden.
Damit das Thema fester Bestandteil der politischen Agenda wird, sollte die Bundesregierung einen externen Mechanismus etablieren, der regelmäßige Fortschrittskontrollen durchführt. Hier kann Großbritannien als Vorbild dienen: Dort hat die Regierung 2009 mit dem Climate Change Committee einen externen Expertenkreis etabliert, dem regelmäßig Bericht erstattet werden muss und der immer wieder lautstark auf Umsetzungsdefizite hinweist.
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Das Wissen ist da – nun muss gehandelt werden
Schon seit langem ist klar, dass gehandelt werden muss, um die Folgen der Klimakrise zumindest abzufedern. Auch die Handlungsmöglichkeiten sind hinlänglich bekannt. Jetzt gilt es, keine weitere Zeit mehr bei der tatsächlichen Umsetzung zu verlieren: Die Zeit zu handeln ist jetzt!