Rückblick auf 2024: Wie adelphi globale Umweltlösungen voranbringt
News vom 20. Dez. 2024
Kommentar von Dennis Tänzler
Eine jährlich umherziehende Konferenzkarawane ist nicht mehr zeitgemäß. Die Kluft zwischen Ambition und Ergebnis ist zu groß. Höchste Zeit für eine pragmatische Alternative.
Ein wahres Feuerwerk war das vergangenes Jahr auf der 26. Uno-Klimakonferenz – kurz COP26 – in Glasgow. Viele Initiativen wurden gezündet, die unterstreichen oder unterstreichen sollen, dass es endlich vorangeht bei der Umsetzung des Pariser Abkommens und der Einhaltung der dort verabschiedeten Ziele. Dazu wurden neue Allianzen geschmiedet, um etwa die Finanzierung fossiler Energien zu stoppen, Technologieinnovationen zusammen mit der Wirtschaft voranzubringen oder die bereits für 2020 zugesagten Klimafinanzierungsbeiträge zu sichern, zumindest im Nachhinein.
Trotz dieser ambitionierten Initiativen wird von der COP26 ein gemischtes Bild der Fortschritte im internationalen Klimaschutz bleiben. Zu groß bleibt die Kluft zwischen notwendiger Ambition und messbaren Ergebnissen. Man muss die Kritik aus der Fridays for Future-Bewegung, die COPs seien nur „Blabla“, nicht teilen, um festzustellen, dass hier ein enormer Handlungsbedarf besteht.
Und genau dieser direkte und fortdauernde klimapolitische Handlungsdruck macht vor allem deutlich: Eine jährlich umherziehende Klimakonferenz-Karawane ist nicht mehr zeitgemäß. Angesichts von Klimanotständen, blockierten Detailverhandlungen und der notwendigen regelmäßigen Überprüfung von Minderungsfortschritten ist stattdessen eher eine Ständige Versammlung der globalen Klimagemeinschaft gefragt. Eine, die aus Vertreterinnen und Vertreten der UNFCCC-Vertragsstaaten besteht und sich 24/7 mit klimapolitischen Fortschritten befasst. So ein Weltklimaparlament kann die Umsetzung des Pariser Abkommens repräsentativ, transparent und verantwortungsvoll beschleunigen. Die einzelnen globalen Verhandlungsrunden, die bisher an verschiedenen Terminen und Orten stattfanden, befinden sich dann zusammen an einem Ort. Wie praktisch, oder? Dort können die Verhandlungsgruppen gemeinsam jene drängenden Fragen der internationalen Klimapolitik klären, die bei und zwischen den COPs bislang nicht gelöst werden konnten oder regelmäßiger überprüft werden müssten.
Klingt utopisch? Plausibel wird die Idee eines Weltklimaparlaments vor allem dann, wenn man sich einzelne Elemente der Klimaagenda herausgreift, die mit dem bisherigen Verfahren nicht schnell genug vorangetrieben werden. Drei Beispiele:
Im Grunde ist das gesamte Pariser Abkommen schon seit Jahren in Form eines Regelwerks operationalisiert. Die Umsetzung kann eigentlich voranschreiten. Doch es dauerte sechs Jahre, bis man sich auf Artikel 6 einigen konnte, in dem festgelegt ist, wie die Länder gemeinsame Klimaprojekte durchführen können. Diese Frage ist aber von wesentlicher Bedeutung für Fortschritte bei zwischenstaatlich angeschobenen Emissionensminderungen. Das Ausmaß dieser Verzögerung erscheint völlig unangemessen, nicht zuletzt angesichts der Bereitschaft vieler Länder zur Kooperation. Hier bedarf es in Zukunft zusätzlicher und effizienterer Arbeitsabläufe, um schneller Entscheidungen für den globalen Klimaschutz herbeizuführen. In einem Parlament könnten beispielsweise gezielte Ausschüsse über offene Fragen verhandeln, sich zusätzlichen Rat einholen und dabei an bereits existierende Arbeiten und Formate der Verhandlungsgruppen zu einzelnen Dossiers anknüpfen.
Seit mehr als zehn Jahren bereits gibt es die Selbstverpflichtung der internationalen Klimagemeinschaft, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar an Klimafinanzierung bereitzustellen. Diese Summe beschreibt gewissermaßen das Hauptbudget der internationalen Klimapolitik. Sie soll ab Mitte des Jahrzehnts noch mal angehoben werden. Glasgow hat hier in einer konzertierten Aktion schon viel auf den Weg gebracht, um die Lücken der vergangenen Jahre zu schließen. Dennoch bleibt vieles unbeantwortet: So gibt es noch immer methodische Unklarheiten darüber, wie viel Geld tatsächlich seitens der einzelnen Geber eingebracht wird, welche Rolle hierbei der Privatsektor spielt und in welchem Maße diese Mittel zur Gewohnheit werden können – auch unter Einbindung der Privatwirtschaft. Darüber hinaus stellen sich grundsätzliche Fragen zur Wirkung dieser Mittel: Sind sie tatsächlich gerecht verteilt, nachdem sie über die verschiedenen multi- und bilateralen Finanzierungsströme geflossen sind? Werden hinreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt, um Resilienz zu stärken? Wer kommt jetzt eigentlich für die nicht mehr zu vermeidenden Schäden und Verluste der Klimakrise auf (Stichwort „loss and damage“)? Und nicht zuletzt: Werden die Mittel in einer verantwortlichen und transparenten Weise verwendet? Die Antworten auf all diese Fragen werden maßgeblich für eine effiziente und glaubhafte Klimapolitik sein. Anstatt sie also, wie gewohnt, nur einmal im Jahr, irgendwo auf der Welt und oft spontan zu suchen, sollten sie besser gebündelt von einem ständigen Ausschuss behandelt werden. So ähnlich kennen wir es aus unseren Parlamenten ja auch.
Die Hochwasserfluten im Sommer haben sogar einem hoch entwickelten Land wie Deutschland eindrücklich vor Augen geführt, wie überlebensnotwendig unmittelbare Unterstützung bei der Bewältigung von extremen Wettereignissen ist. Welche zunehmenden Herausforderungen sich daher für andere, deutlich weniger wohlhabende und deutlich verwundbarere Länder stellen, kann man sich leicht vorstellen. Bereits konfliktreiche Regionen sind von weiterer Destabilisierung und – im schlimmsten Fall – von Konflikten bedroht. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird über dieses Thema mittlerweile immer häufiger diskutiert. Das ist besorgniserregend! Um also über entsprechende (Sofort-)Maßnahmen zur Bewältigung von klimabedingten Ereignissen wie Stürmen, Fluten und Dürren zu beraten, die absehbar noch häufiger und intensiver auftreten werden, bedarf es versierter und international abgestimmter Unterstützungsleistungen. Diese sollten konsequenterweise aus der Mitte einer globalen Klimagemeinschaft heraus koordiniert und dort auch entsprechend debattiert werden. Neben der Funktion des Parlaments als Kontrollorgan könnte zudem die Auszahlung von Mitteln beschleunigt werden. Und keine Sorge: Ein Weltklimaparlament wird hier nicht das dichte Netzwerk internationaler Hilfsorganisationen ersetzen. Vielmehr kann es als Kompass dienen, um international, frühzeitig und entschieden zu handeln und multilaterale Kooperationen zur Krisenbewältigung schnell in die Wege zu leiten – und zudem das globale Bewusstsein für Klimarisiken zu schärfen.
Wie die drei Beispiele nahelegen, wäre ein Weltklimaparlament vom Charakter her eher ein Arbeits- als ein Redeparlament. Das Verkünden der großen Linien kann durchaus auch weiterhin einer jährlich stattfindenden Klimakonferenz überlassen werden. Bedeutender ist nämlich die Frage, wie sich dieses Parlament zusammensetzt: Um die notwendige Legitimität für verbindliche Entscheidungen zu erhalten, würden alle Vertragsstaaten (also gegenwärtig 193) vertreten sein. Die Vertreter und Vertreterinnen im Parlament würden von den einzelnen Ländern entsandt. Pro Staat könnte zunächst eine Delegation von drei Vertreter*innen und deren Stab ins Auge gefasst werden. So wäre es einerseits möglich, die Parlamentsarbeit zu Themen wie Minderung, Anpassung und Finanzierung hinreichend zu gestalten. Andererseits läge damit die Größe des Parlaments noch unter der des neuen Deutschen Bundestages mit nunmehr 735 Abgeordneten. Eine akzeptable Größe, wenn man die globalen Dimensionen des Klimawandels berücksichtigt. Als ständige Beobachter sollten Vertretungen der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und anderer nichtstaatlicher Akteure zugelassen sein. Neben einem festen Standort – Bonn als Sitz des Klimasekretariats, Nairobi oder New York – könnte auch eine alle vier bis fünf Jahre rotierende Variante in Betracht gezogen werden. Natürlich wird es sehr viel Gesprächsbedarf über diese und weitere Fragen geben. Wer zum Beispiel entscheidet dann über was? Um diesen Prozess allerdings zu beschleunigen – denn die Zeit drängt! –, wäre die Mindestanforderung ans Parlament, in den Ausschüssen beschlussreife Vorlagen für die Regierungsspitzen der Vertragsstaaten zu entwickeln. Alles Weitere sind Detailfragen.
Weltklimakonferenzen erfüllen inzwischen viele sinnvolle Funktionen, wie Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth in einem Meinungsbeitrag hervorhob. Ja, sie erhöhen die globale Aufmerksamkeit. Ja, sie wandeln sich allmählich zu bedeutenden Messeveranstaltungen. Und ja, sie bauen zivilgesellschaftlichen Druck auf, den es braucht, um die notwendigen Entscheidungen herbeizuführen. Gerade aber angesichts der positiven Signale aus Glasgow sind neue Formen der globalen Zusammenarbeit notwendig. Das Weltklimaparlament ist hier nur ein Beispiel von vielen. So kann das Momentum für den globalen Klimaschutz verstetigt und ausgebaut werden. Dies stärkt die Legitimität des Prozesses. Die 2020er-Jahre können so dazu genutzt werden, kontinuierlich transformative Weichen zu stellen, die auch die Interessen des Globalen Südens und zukünftiger Generationen angemessen vertreten. Vielleicht kann ja die COP27 in Ägypten dazu dienen, eine Initiative für ein Weltklimaparlament auf den Weg zu bringen, um die globale Klimapolitik in eine nachhaltige Zukunft zu führen.
Eine geänderte Fassung dieses Artikels erschien erstmals am 13. November 2021 auf der Website von DER SPIEGEL.