Nach Baku - die COP braucht endlich wieder ein Heimspiel
Kommentar von Dennis Tänzler
Insight von Raffaele Piria
Mit der neuen US-Regierung wird Deutschland die Zusammenarbeit im Bereich Energiewende stärken können. Grüner Wasserstoff bietet die Möglichkeit, einen klimapolitisch tragfähigen Diskurs über den transatlantischen Energiehandel zu führen, argumentieren Raffaele Piria von adelphi und Kirsten Westphal von der SWP im Tagesspiegel Background basierend auf einer neuen Studie.
Die USA stehen vor einer klimapolitischen Kehrtwende. Der designierte US-Präsident Joe Biden will am ersten Tag im Amt zum Pariser Abkommen zurückkehren, bis 2035 den Stromsektor dekarbonisieren und bis 2050 die Klimaneutralität erreichen. Zudem haben sich 21 von 50 Bundesstaaten Emissionsreduktionsziele zwischen 80 Prozent und 100 Prozent bis 2050 gesetzt.
In den nächsten Jahren ist in den USA eine intensive Debatte zur Umsetzung der Klimaneutralität zu erwarten. Dadurch wird sich die Aufmerksamkeit stärker auf die schwer zu dekarbonisierenden Sektoren und daher auch auf Wasserstoff richten. „Renewable Hydrogen“ ist eine von fünf Prioritäten in der Innovationsstrategie des Biden-Harris-Transition-Teams für den Klimaschutz.
Die USA sind mit circa 12 bis 16 Prozent der Erzeugung nach China der weltgrößte Produzent und Verbraucher von Wasserstoff. Mehr als die Hälfte der weltweiten Wasserstoffpipelines sowie fast 5000 Kilometer Ammoniak-Pipelines liegen in den USA. Auch wenn Batteriefahrzeuge sich zunehmend durchsetzen, so fährt doch die Hälfte der Brennstoffzellenfahrzeuge weltweit in den USA. Allerdings ist der Wasserstoff bislang fast ausschließlich grau.
Die Grünwasserstoffwirtschaft in den USA dürfte schnell wachsen; erst recht mit mehr politischer Unterstützung. Denn die USA verfügen über umfangreiche und kostengünstige Solar- und Windenergieressourcen und vor allem Land. An den besten Standorten könnte die großskalige Elektrolyse mit erneuerbarem Strom bereits ab 2030 nah an der Konkurrenzfähigkeit mit Blauwasserstoff sein, wenn ein signifikanter CO2-Preis erhoben wird.
Ferner steht die US-Frackingindustrie wegen des Preisverfalls 2020 und der unter Biden zu erwartenden Verschärfung der Umweltauflagen unter Druck. Die Finanzwelt sucht neue Investitionsfelder.
Bidens Unterstützung für erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff steht außer Frage. Seine Äußerungen zur Zukunft der fossilen Energieindustrie sind jedoch ambivalent. Auch für die Produktion von blauem Wasserstoff haben die USA mit ihren umfangreichen Erdgasressourcen, einer gut ausgebauten Gasinfrastruktur und einem großen Potenzial an CO2-Speicherstätten gute Voraussetzungen.
Allerdings hat sich trotz milliardenschwerer Förderung bislang CCS (Carbon Capture and Storage) in den USA nur sehr bescheiden entwickelt und erlitt im Jahr 2020 mit der vorzeitigen Stilllegung der größten Anlage einen Rückschlag. Wegen der langen Amortisationszeiten für CCS-Investitionen und der Möglichkeit, dass grüner Wasserstoff zeitnah wettbewerbsfähig wird, könnten Investitionen in blauen Wasserstoff für Kapitalgebende unattraktiv bleiben. Letztlich steht der zunehmende Fokus der US-Debatte auf Klimaneutralität langfristig nicht im Einklang mit einer Technologie, die trotz CCS erhebliche Methanemissionen und CO2-Restemissionen verursacht.
Aus strategisch-militärischen Überlegungen könnte die Kernkraft in den USA auch langfristig gefördert werden. Obwohl konkrete Investitionspläne noch nicht bekannt sind, besteht die Möglichkeit, dass eine Kombination mit Elektrolyseuren die Inflexibilität von Kernkraftwerken ausgleicht. Das hohe Durchschnittsalter des Kernkraftwerkbestands, die immensen Kosten für den Neubau, die ungelöste Endlagerung sowie die damit verbundenen Akzeptanzprobleme lassen aber erwarten, dass grüner Wasserstoff auch in den USA eine größere Rolle als Wasserstoff aus Kernenergie spielen wird.
Durch den Einsatz eines Bruchteils ihres EE-Potenzials könnten die USA ihren eigenen Energiebedarf vollständig decken und darüber hinaus auch erhebliche Mengen an Grünwasserstoff in weniger gut ausgestattete Länder wie Deutschland exportieren.
Mittel- bis langfristig bietet Grünwasserstoff den USA die Aussicht auf großskalige klimaneutrale Energieexporte. In den USA könnte das helfen, den wahrgenommenen Zielkonflikt zwischen Klimaschutz, Wirtschaftsinteressen und Außen- und Sicherheitspolitik aufzulösen und damit auch konservative Kreise für eine energiepolitisch progressive Agenda zu gewinnen. Denn die Fortsetzung der LNG-Exportstrategie für die USA ist langfristig nicht länger plausibel, da sich immer mehr potenzielle LNG-Importländer zu Klimaneutralität bekennen. Die Erkenntnis des Exportpotenzials für grünen Wasserstoff hat sich allerdings in den USA noch nicht etabliert. Daran könnte der energiepolitische Dialog mit den USA ansetzen: Der deutsch-amerikanischen Beziehung bietet Grünwasserstoff die Möglichkeit, einen klimapolitisch tragfähigen Diskurs über den transatlantischen Energiehandel zu führen.
Die US-Regierung unter Joe Biden, Deutschland und die EU teilen liberale Grundwerte und das Bekenntnis zum Multilateralismus. Daraus ergibt sich die wichtige Chance, eine langfristige Energiepartnerschaft für eine erfolgreiche Energiewende in den USA aufzubauen.
Deutschland und die USA sollten die Weichen für einen künftigen transatlantischen Handel mit klimaneutralem Wasserstoff stellen. Anders als mit den zum Schutz der europäischen Energiesicherheit übertitelten US-Sanktionen gegen Nord Stream 2 und der beiderseits des Atlantiks geführten Debatte um wirtschaftlich und klimapolitisch fragwürdige LNG-Importterminals könnten die USA und Deutschland so eine tragfähige Basis für eine nachhaltige Energiesicherheit in Europa legen.
Dafür sollten Deutschland und die EU ihre Vorstellung über den Weg hin zu einer klimaneutralen Gaswertschöpfungskette konkretisieren und für die USA greifbarer machen. Diese Aussicht würde auch einen zusätzlichen Anreiz für die USA schaffen, voranzuschreiten.
Für eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland, der EU und der Biden-Administration im Bereich des grünen Wasserstoffs spricht vieles: Gemeinsame Skalierung der Technologiemärkte, gemeinsame Entwicklung und Erprobung von Technologien für den Schifftransport, Koordination von Forschungsvorhaben, Machbarkeitsstudien zur Wertschöpfungskette, Konzepte für Wasserstoff-Export-Hubs und Austausch zur Weiterentwicklung von technischen Standards und Zertifizierungsverfahren.
Bei der Entwicklung von Nachhaltigkeitskriterien ist eine Zusammenarbeit insbesondere mit US-Bundesstaaten mit ähnlicher Interessenlage, zum Beispiel Kalifornien und den Staaten im Nordosten der USA, empfehlenswert.
Auch im Umgang mit den USA sollte Wasserstoff allerdings nicht „overhyped“ werden: Energieeffizienz, Ausbau der erneuerbaren Energien, Anpassung der Stromsysteme und Elektrifizierung von Verkehr und Wärmeversorgung sollten weiterhin im Zentrum des Energiedialogs mit den USA bleiben.
Dieser Artikel erschien als Standpunkt am 10. Januar 2020 im Tagesspiegel Background Energie & Klima. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion veröffentlichen wir den Text hier. Der Standpunkt basiert auf einer Studie von adelphi, die kürzlich veröffentlicht wurde und hier abgerufen werden kann.
piriaadelphi [dot] de (Raffaele Piria) ist Senior Advisor und Co-Lead Energy bei adelphi.
Kirsten Westphal leitet das Projekt „Energiewende und Geopolitik“ der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).